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Was ist reformierter Anarchismus?

  1. Was ist Kultur?
    1.a. Die menschliche Produktion
    1.b. Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen Gruppen.
    1.c. Religion als Grundlage
    1.d. Strukturelle Normen, Richtungskonformität
    1.e. Sündenfall, Erlösung und allgemeine Gnade
  2. Was ist Gesellschaft?
    2.a. Weder individualistisch noch kollektivistisch
    2.b. Souveränität der gesellschaftlichen Bereiche
    2.c. Polyzentrische und sich entwickelnde Gesellschaftsordnung
    2.d. Wirtschaft
  3. Was ist eine zivile Autorität?
    3.a. Zivilrecht unterschieden von Moral
    3.b. Selbsteigentum und Eigentumsrecht
    3.c. Zivilrechtliche Norm der Nicht-Aggression
    3.d. Gottes Ordination der zivilen Herrschaft
    3.e.Besteuerung
    3.f. Krieg
    3.g. Unsere Bekenntnisse
    3.h. Das Monopol des Staates

Diese Erklärung wurde von Gregory Baus und Kerry Baldwin in Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Diskussionsgruppen Reformierter Libertarismus und Reformierter Anarchismus im Jahr 2020 verfasst.

Audio version: http://youtube.com/watch?v=Ubp6DtiLLIE

Was ist reformierter Anarchismus?

Reformierter Anarchismus ist eine Sichtweise der Politik bzw. der zivilen Verwaltung, die von reformierter Theologie (einer Sichtweise der biblischen Lehre, die in den historischen reformierten Bekenntnissen zum Ausdruck kommt) und einer reformierten Philosophie (einer Sichtweise der geschaffenen Wirklichkeit, die sich an der biblischen Lehre orientiert) geprägt ist. Auf der Grundlage einer reformierten Theologie und Philosophie fassen wir im Folgenden eine reformierte Sicht von 1.) Kultur und 2.) Gesellschaft als dem breiteren Kontext zusammen, in den unsere Sicht der Politik eingebettet ist, gefolgt von 3.) zivilem Regieren und [demnächst] 4.) einigen Implikationen für das Handeln.

1. Was ist Kultur?

1.a. Menschliche Produktion

Kultur ist die menschliche Aktivität, die darin besteht, die Erde zu beherrschen, zu kultivieren, die Welt zu füllen, zu beherrschen und sich untertan zu machen, sie zu bebauen und zu erhalten. Kultur ist außerdem das Ergebnis dieser Arbeit, sekundäres Resultat menschlicher Tätigkeit in der natürlichen Umwelt. Als Ebenbild Gottes (1. Mose 1,26-28; 2,15; 9,1-7) und zur Ausübung von Herrschaft geschaffen, kann der Mensch, auch wenn er in Sünde gefallen ist, nicht anders, als zielgerichtet zu handeln, zu arbeiten und die Schöpfung, einschließlich seiner selbst, zu kultivieren.

Siehe: Henry R. Van Til, The Calvinistic Concept of Culture (1959; rep., 2001), p.xvii, 25ff.

1.b. Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen Schichten.

Menschliche Kultivierungsarbeit und deren Ergebnisse lassen sich als verschiedenen Schichten verstehen. Sozusagen an der Oberfläche zeigen die Menschen beobachtbare Verhaltensweisen, von denen einige als Bräuche bezeichnet werden können, und produzieren materielle Artefakte aller Art. Auf einer tieferen Schicht werden Gemeinschaften und Institutionen für zahlreiche Zwecke entwickelt, und diese spiegeln oft, auf einer noch tieferen Schicht, die zahlreichen Werte wider, nach denen die Menschen entscheiden, welche konkreten Tätigkeiten sie ausüben und wie sie dabei vorgehen wollen. Und auf einer grundlegenden Schicht haben die Menschen so etwas wie Weltanschauungen: ein grundlegendes Verständnis davon, was die Welt ist und welche Ziele sie verfolgt. Diese verschiedenen Kulturschichten stehen in einer Dynamik der gegenseitigen Beeinflussung. Menschliche Technologien, Praktiken und Gemeinschaften wirken sich auf Werte und Überzeugungen aus und vice versa.

Siehe: G. Linwood Barney, “The Supracultural and the Cultural: Implications for Frontier Missions,” in The Gospel and Frontier Peoples: a report of a consultation, December 1972 , ed. Robert Pierce Beaver (1973), p.48-55.
Teilweise hier zitiert: https://books.google.com/books?id=raf6uV74x4AC&pg=PA102

1.c. Religion als Basis.

Die Aktivitäten innerhalb all dieser Schichten sind kulturelle Aktivitäten. Sowohl Christen als auch Nichtchristen nehmen an all diesen Arten von Aktivitäten teil. Durch sie gestalten wir die Geschichte unseres individuellen Lebens und die Geschichte von Zivilisationen gleichermaßen. Als Ausdruck unseres Wesens als Ebenbild Gottes ist alles menschliche Handeln grundlegend in der “Religion” begründet, die unsere zentrale Ausrichtung entweder auf den wahren Gott, der sich im Christus der Heiligen Schrift offenbart hat, oder weg von ihm hin zu einem falschen Götzen ist. (Römer 1,18-25; Matthäus 15,18-19)

1.d. Strukturelle Normen, Richtungskonformität

Das Gottesbild im Menschen kann in zwei Dimensionen verstanden werden. Es gibt eine “strukturelle” oder formale Dimension, und es gibt eine “richtungsweisende” oder normative Dimension. Mit der strukturellen Dimension meinen wir Gottes Schöpfungsgesetze oder Verordnungen, die für die geschaffenen Dinge gelten und sie als die Art von Geschöpfen konstituieren, die sie sind. (In diesem Sinne meinen wir die Struktur der Schöpfung und der kulturellen Tätigkeit, nicht die Strukturen der Schöpfung und der Kultur, d. h. nicht die Dinge oder die Kulturerzeugnisse). So wie es verschiedene Arten von geschaffenen Dingen gibt, so gibt es auch verschiedene Arten von Schöpfungsgesetzen. Einige Gesetze sind unmittelbar zwingend, wie die physikalischen Gesetze, zum Beispiel das Gesetz der Schwerkraft. Andere Gesetze sind zwar immer in Kraft, haben aber einen gewissen Appellcharakter. Das heißt, sie können gebrochen werden. Diese appellativen Arten von normativen Gesetzen gelten insbesondere für kulturelle Aktivitäten und menschliches Handeln im Allgemeinen und können als Normen (Gebote/Sollten) bezeichnet werden, z. B. logische Normen wie das “Gesetz des (Nicht-)Widerspruchs”. Mit richtungsweisend meinen wir die negative Abweichung von und die positive Übereinstimmung mit gottgegebenen Normen.

Siehe: Albert M. Wolters, Creation Regained (1985; rep., 2005), p.59, 88, 97.
Siehe auch: Anthony A. Hoekema, Created In God’s Image (1986), p.68-73

1.e. Sündenfall, Erlösung und gemeinsame Gnade

Nach dem Sündenfall behält der Mensch die strukturelle Dimension bei, indem er durch Gottes allgemeine Gnade weiterhin sein Ebenbild ist, als jemand, der ein Amt der Autorität innehat und dazu berufen ist, Herrschaft auszuüben (verkörpert durch das Fällen von Urteilen). Doch durch den Sündenfall verliert der nicht wiedergeborene Mensch die tiefste positive Richtungsdimension dieses Bildes und urteilt nicht mehr richtig. In der wiedergeborenen Person wird das Bild Gottes in Christus erneuert, in wahrer Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erkenntnis. Obwohl Christen zentral auf Gott ausgerichtet sind, können sie immer noch sündigen, unter den Auswirkungen der Sünde leiden und von Gottes Normen, einschließlich der Normen für kulturelle Aktivitäten, abweichen. Dennoch bietet die Erneuerung des Bildes in Christus durch die Erlösung den Christen die Möglichkeit, in gewissem Maße die von Gott verordneten kulturellen Normen zu erkennen und in positiver Übereinstimmung mit ihnen zu leben. Umgekehrt können die Unbekehrten, obwohl sie sich in einem Grundzustand der Gottesferne befinden, durch Gottes allgemeine Gnade in gewissem Maße in äußerer Übereinstimmung mit bestimmten Normen handeln.

Siehe: Meredith G. Kline, Images of the Spirit (1980; rep., 1999).
The first chapter is based on this article: https://meredithkline.com/klines-works/articles-and-essays/creation-in-the-image-of-the-glory-spirit/
Siehe auch: WCF 16.7 on good works by the unregenerate.

2. Was ist Gesellschaft?

2.a. Weder individualistisch, noch kollektivistisch

Die Gesellschaft ist kein einheitliches Ganzes. Vielmehr verstehen wir unter Gesellschaft die zahlreichen individuellen und gemeinschaftlichen Beziehungen in verschiedenen Varianten. Es gibt inter-individuelle Beziehungen, kommunale Beziehungen und inter-kommunale Beziehungen. Da nur Einzelne handeln, kann weder die Gesellschaft noch irgendeine gemeinschaftliche Beziehung nur auf interindividuelle Beziehungen reduziert werden. Und ein Individuum ist niemals nur ein Teil einer bestimmten Gemeinschaft, der es angehört. Gemeinschaftliche Beziehungen unterscheiden sich von interindividuellen Beziehungen dadurch, dass sie vergleichsweise dauerhafter sind und Autoritätsvereinbarungen beinhalten. Weder die Individuen noch die Gemeinschaften sind wichtiger als die anderen oder haben ihren Ursprung in den anderen. Individuen und verschiedene Gemeinschaften sind selbst Ganzheiten, die letztlich von Gott in der Schöpfung strukturiert oder normiert wurden. In diesem Sinne lehnen wir sowohl eine individualistische als auch eine kollektivistische Sicht der Gesellschaft ab.

Siehe: Roy Clouser, The Myth of Religious Neutrality (1991; rev., 2005), chapter 12.
Siehe auch: Herman Dooyeweerd, A Christian Theory of Social Institutions (1947)
https://tinyurl.com/DooyTheorySocInst

2.b. Souveränität der gesellschaftlichen Bereiche

Es gibt verschiedene gesellschaftliche Bereiche oder Arten von Gemeinschaften. Jede Art von Gemeinschaft unterscheidet sich von den anderen durch ihre eigene Natur, die sich in ihrer Organisation und ihrem Zweck unterscheidet und durch ihre eigenen gottgegebenen Normen bestimmt wird. So gibt es zum Beispiel familiäre, kirchliche/religiöse, politische/zivile, kommerzielle, soziale, karitative, medizinische, erzieherische und ästhetische/künstlerische Arten von Gemeinschaften. Keine einzelne Art von Gemeinschaft umfasst oder regelt alle anderen in angemessener Weise. Ebenso wenig umfasst oder regelt eine bestimmte Gemeinschaft einer bestimmten Art alle anderen dieser Art in angemessener Weise. Jede Art von Gemeinschaft hat ihre eigene besondere Funktion und ihre eigene Art von begrenzter Autorität und Kompetenz, die direkt von Gott verordnet und nicht durch eine andere Art vermittelt wird. Dies wird als “Sphärensouveränität” bezeichnet. Wir lehnen die kollektivistische Sichtweise der so genannten “Subsidiarität” ab, die zwar versucht, von unten nach oben zu gehen, indem sie bekräftigt, dass die unterste Organisationsebene die ursprüngliche Zuständigkeit hat, aber dennoch alle gesellschaftlichen Gemeinschaften (als so genannte “vermittelnde Institutionen”) unter einen allumfassenden Staat subsumiert.

Siehe: Gregory Baus, Dooyeweerd’s Societal Sphere Sovereignty (2006, rev. 2017)
https://www.academia.edu/32356017/Dooyeweerds_Societal_Sphere_Sovereignty_2017_revision_
Siehe auch: Kerry Baldwin, Economics, Hierarchy, and the Question of the State’s Inevitability (2018)
https://libertarianchristians.com/2018/04/11/economics-hierarchy-states-inevitability/
and Inconceivable! The Plausibility of a Stateless Society (2018)
https://libertarianchristians.com/2018/05/07/plausibility-of-a-stateless-society/

2.c. Polyzentrische und sich entwickelnde gesellschaftliche Ordnung

Die Gesellschaft wird normativ polyzentrisch geordnet und regiert, d.h. innerhalb einer Vielzahl von Beziehungen und besonderen Gemeinschaften unterschiedlicher Art. Eine politische Ordnung oder Gemeinschaften/Institutionen der Zivilverwaltung hat nicht die Aufgabe, die Gesellschaft umfassend zu regeln. Vielmehr beschränkt sich die gottgegebene Aufgabe der Zivilverwaltung ausschließlich auf die Verwaltung des Zivilrechts. Der umfassendere polyzentrische Gesellschaftskomplex koordiniert sich selbst, und zwar durch die Selbstverwaltung jeder einzelnen Instanz der verschiedenen Arten von Beziehungen und jeder einzelnen Gemeinschaft der verschiedenen unterschiedlichen Arten. Nach Gottes Schöpfungsentwurf kommt eine dynamische gesellschaftliche Harmonisierung kumulativ durch die verschiedenen Arten normativen menschlichen Handelns zustande, jedoch unabhängig von der spezifischen Absicht oder dem Versuch einer umfassenden Zwangsregulierung durch ein menschliches Individuum oder eine Gemeinschaft. Jeder Versuch einer Zwangsregulierung der Gesellschaft im Ganzen verletzt das Wesen der Gesellschaft, die verschiedenen Normen und Beziehungen und die unterschiedlichen Arten von Gemeinschaften mit differenzierter und begrenzter Autorität, die von Gott eingesetzt wurden, und führt so zu weitreichenden Verzerrungen und Unordnung.

Siehe: Norman Barry, The Tradition of Spontaneous Order (1982)
https://oll.libertyfund.org/titles/liggio-literature-of-liberty-summer-1982-vol-5-no-2/
Siehe auch: https://fee.org/learning-center/concepts/spontaneous-order/

2.d. Wirtschaft

Kommerzielle oder wirtschaftliche Beziehungen zwischen Individuen und Gemeinschaften in der Gesellschaft sind von Gott so genormt, dass sie im Sinne eines “freien Marktes” funktionieren, d. h. gemäß den von Gott gegebenen Gesetzmäßigkeiten für den Erwerb und die Nutzung knapper Ressourcen und den freiwilligen Austausch. Jegliche staatlichen Zwangsbeschränkungen oder -regelungen, die über die Verwaltung der eigentlichen Ziviljustiz hinausgehen, in Bezug auf den Erwerb, das Eigentum oder die Nutzung von Ressourcen, ganz gleich, welche Absicht oder welchen Vorwand sie verfolgen (ob es sich dabei um Geld, Kredite, Investitionen, Produktion, Produkte, Vertrieb, Konsum, Kauf, Verkauf, Vermietung, Spekulation, Sparen, Arbeit, Beschäftigung, Dienstleistungen, Löhne, Preise usw. handelt), sind allesamt zu beanstandende Verstöße gegen die wirtschaftlichen, moralischen und zivilrechtlichen gottgegebenen Normen und wirken sich letztlich zerstörerisch auf das ordnungsgemäße Funktionieren und Wohlergehen der Gesellschaft aus.

Siehe: Shawn Ritenour, Foundations of Economics: A Christian View (2010)
Siehe auch: Per Bylund, The Seen, the Unseen, and the Unrealized: How Regulations Affect Our Everyday Lives (2016)

3. Was ist eine zivile Autorität?

3.a. Zivilrecht im Unterschied zur Moral

Eine zivile Autorität besteht aus der Verwaltung der Ziviljustiz, d.h. die Entscheidung von Konflikten über “zivile”/politische Rechte gemäß den gottgegebenen Normen der Ziviljustiz, mit den dazugehörigen Regeln und der Durchsetzung. Die zivile (oder politische) Justiz und die zivilen Rechte betreffen legitime, mit Zwang durchsetzbare normative Ansprüche auf die eigene Person oder das eigene Eigentum. In diesem Sinne unterscheidet sich die zivile Gerechtigkeit (in Bezug auf zivile Rechte und Pflichten) von dem, was anderen in Bezug auf nicht-zivile/nicht-politische Ansprüche zusteht. Die moralische Gerechtigkeit betrifft zum Beispiel die Liebe. Verstöße gegen das bürgerliche Recht können immer unmoralisch sein, aber nicht andersherum. Lügen und Begehren sind unmoralisch, beinhalten aber nicht notwendigerweise ein “Verbrechen”, d.h. die Verletzung des bürgerlichen/politischen Rechts.

Siehe: Lysander Spooner, Vices Are Not Crimes (1875)
https://mises.org/library/vices-are-not-crimes

3.b. Selbsteigentum und Eigentumsrecht

Alle Menschen sind von Gott geschaffen, und daher ist er der Eigentümer eines jeden Menschen. Gott in Christus ist der Schöpfer und Eigentümer aller Dinge (Kolosser 1,15-17). Da er die Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, hat Gott gleichzeitig jedem Menschen ein Haushalterrecht über sich selbst und sein Eigentum gegeben. In Bezug auf andere Menschen nennen wir die Haushalterschaft eines jeden Menschen sein Selbsteigentum. Und dieses Selbsteigentum kann auf den Erwerb des Eigentums an knappen Ressourcen ausgedehnt werden. Eigentum ist das Recht auf ausschließliche Kontrolle, Nutzung oder Verfügung über eine Ressource. Wir nennen dies “Eigentumsrechte” (an der eigenen Person und an den eigenen Sachen; vgl. 2. Mose 21,16; Matthäus 20,15; Apostelgeschichte 5,4); das bürgerliche/politische Recht.

Siehe: Stephan Kinsella, What Libertarianism Is (2009)
https://mises.org/library/what-libertarianism
Siehe auch: Stephan Kinsella, How We Come To Own Ourselves (2006)
https://mises.org/library/how-we-come-own-ourselves

3.c. Zivilrechtliche Norm des Nichtangriffs

Mit den Eigentumsrechten korrespondiert notwendigerweise die Verpflichtung, niemals Zwang gegen die Person oder das Eigentum eines anderen auszuüben (oder den ersten Gebrauch davon zu machen). Wir bezeichnen eine solche Ausübung von Zwang als “Aggression”. Die einzige legitime Anwendung von Zwang gegen die Person oder das Eigentum eines anderen ist eine verhältnismäßige Reaktion auf eine vorherige Aggression. Legitimer Zwang ist ausschließlich reaktiv. Aggression gegen die Person oder das Eigentum eines anderen (sei es Mord, Vergewaltigung, Körperverletzung, Diebstahl, Entführung, Betrug oder die glaubhafte Androhung dieser Dinge) ist niemals legitim. Diese Norm bezüglich der legitimen Anwendung von reaktivem Zwang und der Unzulässigkeit von initiativem Zwang oder Aggression wird oft als “Nichtangriffsprinzip” bezeichnet. Es ist eine gottgegebene moralische Norm, die im biblischen Verbot von Mord und Diebstahl zum Ausdruck kommt (vgl. Exodus 20; Deuteronomium 5). Es ist auch eine gottgegebene Norm für die Ziviljustiz, die in der biblischen Bekräftigung des Gesetzes der angemessenen Vergeltung (lex talionis) zum Ausdruck kommt, da Selbsteigentum/Eigentumsrechte das abgrenzen, was ordnungsgemäß mit Zwang durchgesetzt werden kann (vgl. Genesis 9,5-6; Sprüche 3,30; 1 Petrus 4,15).

3.d. Gottes Ordination der zivilen Autorität

In Römer 13,1-7 heißt es, dass Gott die Verwaltung der zivilen Justiz anordnet. Dazu gehört die legitime Anwendung von Zwangsmaßnahmen gegen Aggressoren (diejenigen, die sich an der Person oder am Eigentum anderer vergreifen) und die Erzwingung der Wiedergutmachung durch die Aggressoren an ihre Opfer. Nach der göttlichen Ordination ist die zivile Verwaltung streng auf diese Aufgabe beschränkt. Die zivilen Autoritäten, denen sich alle unterordnen sollten (siehe auch 1. Petrus 2,13-14; Titus 3,1), sind diejenigen, die die tatsächliche zivile Justiz verwalten. Der Anspruch auf zivile Macht oder die Ausübung von Macht oder Zwang unter irgendeinem Vorwand, der gegen die zivile Gerechtigkeit verstößt, ist nach der Heiligen Schrift nicht von Gott verordnet und kann rechtmäßig abgelehnt werden. Nicht nur Befehle zur Sünde müssen verweigert werden, sondern auch jede angestrebte zivile Regelung, die über den von Gott verordneten Bereich der zivilen Gerechtigkeit hinausgeht, darf zu Recht ignoriert werden. Diejenigen, die ungerecht sind, sind keine legitimen Autoritäten, denen die Gläubigen zivile Streitigkeiten unter sich vorlegen sollten (1. Korinther 6,1-8).

Siehe: Gregory Baus, Romans 13 and Stateless Civil Governance: A Reformed View (2019)
https://libertarianchristians.com/2019/05/31/romans-13-and-stateless-civil-governance-a-reformed-view/
Und https://mereliberty.com/romans13/

3.e. Besteuerung

Die Heilige Schrift lehrt nicht, dass irgendjemand tatsächlich Steuern schuldet. Vielmehr verlangt die Schrift von uns, dass wir anderen das zahlen, was ihnen tatsächlich zusteht (Römer 13,7), d. h., dass wir anderen das geben, was ihnen rechtmäßig gehört. In Matthäus 22,15-22 (auch Markus 12,13-17; Lukas 20,20-26) bekräftigt unser Herr, dass nur das Eigentum des Cäsars dem Cäsar gehört und ihm übergeben werden sollte. Der Herr Jesus duldet weder die Besteuerung, noch verpflichtet er jemanden, sich dem Diebstahl zu unterwerfen.

Siehe: Jeff Barr, Render Unto Caesar (2010) https://mises.org/wire/render-unto-caesar-most-misunderstood-new-testament-passage
Siehe auch: Rocco Stanzione, Render Unto Caesar (2016)
https://truthandliberty.me/2019/08/22/render-unto-caesar/

3.f. Krieg

Ein Einzelner oder eine Gemeinschaft kann sich und sein/ihr Eigentum oder das anderer rechtmäßig verteidigen, und zwar einvernehmlich im Namen anderer, indem sie verhältnismäßigen, reaktionsfähigen Zwang gegen Angreifer ausübt. Dies kann tödlichen Zwang und die Erzwingung der Rückerstattung durch die Angreifer an ihre Opfer einschließen. Das, was als “Krieg” bezeichnet wird und von Staaten geführt wird, ist jedoch niemals moralisch oder gerecht. Wir verurteilen und lehnen Krieg auf das Schärfste als ein großes Übel ab. Christen sollten sich niemals am Militär eines Staates beteiligen, der sich an nicht defensiven Aktionen und/oder unverhältnismäßigen Zwangsmaßnahmen und/oder Aktionen beteiligt, bei denen wissentlich Nichtangreifer verletzt oder ermordet werden. Christen sollten auch nicht in einem Unternehmen arbeiten, das die Kriegsführung eines solchen staatlichen Militärs unterstützt. (Römer 12:18; Sprüche 1:10-16)

Siehe: Murray Rothbard, War, Peace, and the State (1963)
https://mises.org/library/war-peace-and-state
Siehe auch: Wendy McElroy, Libertarian Just War Theory (2010)
http://www.wendymcelroy.com/articles/justwar.html
And The Libertarian Antithesis: War (2016)

3.g. Unsere Bekenntnisse

Die historischen Bekenntnisse (und andere Lehrstandards) der reformierten Kirchen wenden sich nicht gegen den Widerstand gegen Autoritäten, die das bürgerliche Recht verletzen. Im Westminster-Glaubensbekenntnis 20.4 heißt es, dass diejenigen, die sich “jeder rechtmäßigen Macht oder ihrer rechtmäßigen Ausübung widersetzen … der Ordnung Gottes widerstehen”. Tyrannei ist unrechtmäßig, nicht die Verordnung Gottes, und man kann sich ihr rechtmäßig widersetzen. Das Londoner Baptistische Glaubensbekenntnis 24.3 legt fest, dass Unterwerfung nur bei “rechtmäßigen Anordnungen” erforderlich ist. Das Zweite Helvetische Glaubensbekenntnis 30 legt in ähnlicher Weise fest, dass Gehorsam nur gegenüber “gerechten und angemessenen Gesetzen” erforderlich ist. Das Niederländische Glaubensbekenntnis 36 schreibt Gehorsam nur gegenüber Dingen vor, “die nicht im Widerspruch zu Gottes Wort stehen”, und prangert alle an, auch die zivilen Mächte, die “die Gerechtigkeit untergraben”.

3.h. Das Monopol des Staates

Ein Staat hat das Monopol auf die Anwendung von Zwang und die oberste Entscheidungsgewalt (oder das “letzte Wort”) in einem Territorium. Dieses Monopol beinhaltet die Durchsetzung eines Anspruchs auf ausschließliche Kontrolle oder Vorrechte über Personen und Eigentum, die anderen gehören und die der Staat nicht besitzt. Als solche sind alle Staaten Aggressoren, von Natur aus ungerecht und antinormativ. Jeder Staat ist eine unrechtmäßige Usurpation der bürgerlichen Macht, eine Tyrannei. Staaten sind weder legitim noch notwendig für eine zivile Regierungsführung. Legitime zivile Regierungsführung ist nicht monopolistisch, weil Gott die zivile Regierungsführung strikt auf die Verwaltung der zivilen Gerechtigkeit (die Entscheidung von Streitigkeiten über “zivile”/politische Rechte gemäß den gottgegebenen Normen der zivilen Gerechtigkeit) durch Zwangsvergeltung gegen Aggressoren und die Erzwingung von Wiedergutmachung durch Aggressoren an ihre Opfer beschränkt hat. Das staatliche Monopol ist im Prinzip totalitär und tendiert in der Praxis immer mehr zum Totalitarismus.

Siehe: Murray Rothbard, Anatomy of the state (1974)
https://mises.org/library/anatomy-state
Siehe auch: Gerard Casey, Libertarian Anarchy (2012)

Teilweise hier zusammengefasst: http://tinyurl.com/CaseForAnarchy

Veröffentlicht im Original durch Gregory Baus
In deutscher Sprache veröffentlich mit
freundlicher Genehmigung von Gregory Baus

In den letzten fünfzig Jahren hat sich die Einstellung der Amerikaner zur Abtreibung nicht wesentlich geändert. Seit Roe vs. Wade haben die üblichen Argumente auf beiden Seiten verschiedene Bereiche der Philosophie durchlaufen. Dabei wird um die eigentliche Frage herumgetanzt, aber nie auf sie eingegangen: die Frage nach der juristischen Natur der Menschenrechte.

Beide Seiten versuchen, die Frage der Legalität damit zu beantworten, dass sie eine Rechtsposition mit ethischen, ontologischen und religiösen Argumenten zu ihren Gunsten verwechseln. All dies ist jedoch nicht geeignet, den tatsächlichen Gegenstand der Frage nach dem Recht zu berühren. In dieser unklaren Situation lassen beide Seiten zu, dass die Frage der Rechte vage und mehrdeutig bleibt. Das Ergebnis sind Theorien, die die Grundrechte rechtlich relativieren, verwirren und kompromittierbar machen.

Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte
Libertarismus lässt die ethischen, ontologischen (metaphysischen) und religiösen Aspekte beiseite und konzentriert sich auf die rechtliche Position. Das mag so klingen, als würden anderen wichtigen Aspekte ignoriert werden. Stattdessen klärt dies vielmehr die Hintergründe und ermöglicht es uns, die richtigen Kategorien für diese Dinge zu definieren.

Die drei Facetten der konventionellen Abtreibungsdebatte

Persönlichkeitsrechte
Die Frage der Persönlichkeitsrechte bei der Abtreibung klingt heute wie ein Argument der Abtreibungsbefürworter. Aber eigentlich war es ursprünglich ein Thema der Abtreibungsbefürworter. Die Philosophin Mary Ann Warren argumentierte zuerst, dass "die Persönlichkeit und nicht die genetische Identität die grundlegende Basis für die Zugehörigkeit zur moralischen Gemeinschaft darstellt. Ein Fötus, vor allem in den frühen Stadien seiner Entwicklung, erfüllt keines der Kriterien der Personalität". Ein Problem für Warren besteht darin, dass sie gleichzeitig die Kriterien für das Personsein aufstellt, anstatt sich auf einen bereits vereinbarten Standard zu stützen. Nach ihrer Einschätzung sind Menschen dann und nur dann Personen, wenn sie sechs bestimmte Eigenschaften aufweisen: Empfindungsvermögen, Emotionalität, Vernunft, Kommunikationsfähigkeit, Selbstbewusstsein und moralische Handlungsfähigkeit.

Der Haupteinwand besteht darin, dass sie die Voraussetzungen für die Gewährung von Menschenrechten überbewertet. Ihre sechs Kriterien schließen zwangsläufig auch eine Vielzahl von geborenen Menschen aus. Aber die typischen Befürworter des Lebensschutzes entgegnen ihrem Argument nicht mit denselben Begriffen. Sie kontern stattdessen mit religiösen Begriffen. Insbesondere berufen sie sich auf das christliche Konzept des Imago Dei und/oder auf die Bibelstelle über das "Gebildet werden" im Mutterleib. (Ps139:13) Es ist zwar richtig, dass ein Christ das Konzept der Personalität aus der Heiligen Schrift ableitet, aber Warren eine religiöse Antwort anzubieten, geht am Thema vorbei.

Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil es ihm nicht um die Person an sich geht. Das soll nicht heißen, dass das Konzept der Personalität für Libertäre nicht von allgemeinem Interesse ist. Vielmehr befasst sich der Libertarismus nicht mit den metaphysischen Ideen der Persönlichkeit. Für den Libertarismus ist das Element der Personalität, das für die Begründung von Menschenrechten notwendig ist, das Selbsteigentum.

Selbsteigentum behandelt nicht die Fragen nach Empfindungsvermögen, Emotionalität, Vernunft, Kommunikation, Selbstbewusstsein oder moralischem Handeln. Obwohl viele dieser Fragen für Ludwig von Mises' Konzept des menschlichen Handelns von Interesse sind. Da wir das Selbsteigentum vom menschlichen Handeln trennen können, umfasst das libertäre Selbsteigentum alle Menschen, einschließlich derer, die durch Warrens Argumentation entmündigt werden. Und obwohl es sich nicht auf religiöse Überzeugungen stützt, negiert es diese auch nicht.

Ethik
Obwohl Warren eher ontologisch (metaphysisch) argumentiert, mischt sie sich auch in die ethische Debatte ein. Sie führt das ontologische Argument für das ethische Argument an, wonach Abtreibung ein legales Recht sei. Sie tut dies jedoch, ohne sich überhaupt mit einer Rechtstheorie zu befassen. Sie geht bestenfalls von der Annahme aus, dass das, was moralisch ist, auch rechtlich durchgesetzt werden sollte. Kein Wunder, dass die Abtreibungsdebatte so verworren ist! Aber das ist ein ganz normaler Vorgang. Die Abtreibungsbefürworter bringen die gleichen falschen und verworrenen Argumente vor.

Das vorherrschende ethische Argument für die Abtreibung ist Judith Jarvis Thomsons "Violinist". Dabei handelt es sich um ein berühmtes Gedankenexperiment, bei dem ein medizinischer Eingriff gegen den Willen eines anderen Menschen vorgenommen wird. Ich habe hier mehr darübergeschrieben. Thompson räumt ein, dass ein Fötus von der Empfängnis an eine Person ist. Sie argumentiert dann, dass "das Recht auf Leben weder das Recht garantiert, den Körper einer anderen Person nutzen zu dürfen, noch das Recht, den Körper einer anderen Person weiterhin nutzen zu dürfen - selbst wenn man ihn zur Lebenserhaltung braucht."

Dr. Walter Blocks Theorie des Evictionismus bzw. Räumungsrechts, stützt sich stark auf Thomsons eigene Argumentation; die beiden sind sich auffallend ähnlich. Und obwohl die Brisanz der Abtreibungsdebatte heute viel weniger ausgefeilt klingt, ist das zugrunde liegende moralische Argument immer noch vorhanden: Ungeborene haben kein Recht auf den Mutterleib. Der einzige wirkliche Unterschied zwischen Thomsons Argumentation und der heutigen Rhetorik der Abtreibungsbefürworter besteht darin, dass Thomson ihre eigene Argumentation stark einschränkt und immer noch den Gedanken vertritt, dass eine Abtreibung nicht "immer zulässig" ist. Heutige Abtreibungsbefürworter würden dem nicht zustimmen.

Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil er die ethische Debatte völlig beiseiteschiebt (oder schieben sollte). Damit soll nicht gesagt werden, dass die Ethik der Abtreibung (oder allgemeiner gesagt, die Ethik der menschlichen Fortpflanzung) unwichtig ist. Aber nur weil eine Handlung ethisch ist, heißt das nicht zwangsläufig, dass diese Handlung erzwungen oder gesetzlich verboten werden sollte. Auch hier gilt wieder, dass wir uns mit der juristischen Natur der Menschenrechte befassen.

Religiöser Glaube
Mit der Ethikdebatte ist auch das religiöse Argument verbunden. Religiöser Glaube fließt sowohl in den Aspekt der Person als auch in den der Ethik ein. Meistens ist es die Seite der Abtreibungsgegner, die sich auf religiöse Argumente berufen. In der herkömmlichen Abtreibungsdebatte spielen religiöse Überzeugungen auf beiden Seiten eine wichtige Rolle.

Das offensichtliche religiöse Argument kommt von der Lebensschutzseite. Es richtet sich in der Regel gegen die körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit der Frau. Abtreibungsbefürworter verweisen in der Regel auf die althergebrachte Vorstellung, dass die Hauptaufgabe der Frau in der Gesellschaft darin besteht, Mutter zu sein. Dies erfordert ihrer Ansicht nach eine Form der Selbstverleugnung, die dem Recht der Frau auf körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit zuwiderläuft.

Carl Trueman schreibt: "Glaubt man denjenigen, die das Recht auf Abtreibung verteidigen, so ist es nichts Geringeres als die Befugnis, das Leben ihres ungeborenen Kindes zu beenden, die einer Frau ihre Menschlichkeit garantiert, d. h. die Autonomie, die ihrem Status als dem Mann Gleichgestellte entspricht. Das ist eine Verleugnung dessen, was uns wirklich menschlich macht: unsere natürliche Abhängigkeit voneinander und unsere Verpflichtungen einander gegenüber." (Hervorhebung hinzugefügt) Diese traditionalistische Sichtweise leugnet stets die körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit der Frau. Sie konzentrieren sich immer auf ihre Abhängigkeit (und die ihres Fötus) vom Mann.*

Auch christliche Abtreibungsbefürworter haben ihre religiösen Argumente. Die christlich-feministische Sichtweise stammt von Beverly Wildung Harrison. Sie ist als die "Mutter" der christlich-feministischen Ethik bekannt. Harrison argumentiert, dass ein gottgegebenes Recht auf reproduktive Entscheidungen notwendigerweise ein gesetzliches Recht auf Abtreibung beinhaltet. Sie brachte dieses Argument erstmals 1984 vor. Es enthält all die Worte, die wir heute von der progressiven Linken hören, wenn es um den elitären Anspruch der Weißen und die Missstände einer frauenfeindlichen Kultur geht. Dies sind die Gründe, so Harrison, warum eine Frau ein göttliches Recht hat, zu bestimmen, wer geboren wird.

Hier liegt der große Fehler dieser beiden Ansichten: eine religiöse Bestätigung der persönlichen Befangenheit. Diese beiden Positionen geben die Antwort auf die rechtliche Frage nach den Rechten, indem sie überzogene Behauptungen darüber aufstellen, was die Heilige Schrift über Frauen zu sagen hat. Sie setzen sich nie damit auseinander, was Rechte sind, inwiefern Menschen über diese verfügen oder wie sie im Leben jenseits des Moralischen identifiziert werden können.

Vielleicht hat Trueman Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" nicht gelesen. Huxley schildert eine Menschheit, die völlig von einander abhängig und einander verpflichtet ist. Diese Sichtweise führt zur Verleugnung jeder Sexual- und Familienethik, die Trueman wichtig ist. Ich gehe jede Wette ein, dass Trueman dieses Maß an Abhängigkeit und Verpflichtung gegenüber dem Nächsten leugnen würde. Aber um das zu tun, muss er zustimmen, dass Menschen (einschließlich Frauen) körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit haben.

Harrison hat Recht, wenn sie ein göttliches Recht auf körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit anführt. Sie übertreibt, wenn sie das Ausmaß der Herrschaft, die eine Frau über ihren Fötus hat, überbewertet. Aber sie argumentiert auch, dass reproduktive Wahl bedeutet, "[eine] Strategie zu finden, die gleichzeitig dazu führt, dass man sich weniger auf Abtreibung verlässt und weniger auf Zwang gegen Frauen und erzwungenes Kinderkriegen zurückgreift. Nichts anderes wäre ein echter moralischer Kompromiss".

Dies ist eine eindrucksvolle Aussage. Aber wo dies mit einem Verständnis der österreichischen Wirtschaftslehre leicht vorstellbar ist, hält Harrison es für utopisch; es sei nur mit sozialistischen Mitteln zu erreichen. Der Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil er die Vorstellung von einer Gesellschaft, die das Leben schützt, von einer Utopie in eine realistische Perspektive verwandelt.

Wie der Libertarismus die Abtreibungsdebatte verändert
Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil er kein religiöses Argument benötigt, um Harrisons Argumente für das Recht auf körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit zu begründen. Und (so argumentiere ich) würde sich auch nicht auf das Recht auf Abtreibung erstrecken. Ebenso braucht der Libertarismus kein religiöses Argument, um die Bedeutung von Mutterschaft und Familie zu erklären. Und (so behaupte ich) muss er auch nicht die körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit leugnen, um dies zu tun. Der Libertarismus braucht kein ethisches Argument, um Thomsons Argumente für die Freiheit von medizinischem Zwang geltend zu machen.

Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil er keine metaphysische Theorie der Personalität benötigt, um Menschenrechte zu begründen. Die Prinzipien des Selbsteigentums und der Nicht-Aggression beantworten diese Fragen, und zwar ohne eine Reihe von rhetorischen Hürden zu überspringen.

In der Tat löst der Libertarismus viele gesellschaftliche Probleme im Zusammenhang mit der körperlichen Autonomie und Handlungsfähigkeit der Frau. Und er kann dies tun, ohne die Rechte des Fötus aufs Spiel zu setzen. Interessant an den Argumenten der Abtreibungsgegner ist, dass sie alle davon ausgehen, dass der Fötus von der Empfängnis an Mensch ist. Viele Abtreibungsbefürworter räumen nicht einmal das ein. Einige berufen sich auf ein Warren-ähnliches Argument für die Persönlichkeit qua Selbsteigentum, aber das zeigt nur, dass sie nichts von Selbsteigentum verstehen.

Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, indem er die Menschenrechte durch Selbsteigentum begründet. Der Beginn des Selbsteigentums, von der Empfängnis an, macht den Weg frei, um eine ganze Reihe von Fragen zu diskutieren, bei denen Libertäre notorisch schlecht abschneiden. Dazu gehören unter anderem die Rechte von Kindern und Eltern, Vergewaltigung und Sexualverbrechen, Missbrauch und der Übergang zu Mises' Konzept der menschlichen Handlung.

Eine rechtspositivistische Sicht muss die Frage der Abtreibung (und der reproduktiven Freiheit) beantworten. Der Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil er unser Verständnis neu ausrichtet, so dass wir andere dringende Fragen genauer angehen können.

| VIDEO| Kerry Baldwin debate Dr. Walter Block on Evictionism at the Soho Forum in NYC

*Eine ausführlichere Antwort auf Carl Trueman werde ich in einem separaten Artikel geben.

Veröffentlicht im Original durch Kerry Baldwin
In deutscher Sprache veröffentlich mit
freundlicher Genehmigung von Kerry Baldwin
und dem Libertarian Christian Institute

Kerry Baldwin
Kerry Baldwin

Kerry Baldwin ist eine unabhängige Wissenschaftlerin und Autorin mit einem B.A. in Philosophie von der Arizona State University. Ihre Schriften konzentrieren sich auf libertäre Philosophie und reformierte Theologie und richten sich an gebildete Laien. Sie fordern die Leser auf, die vorherrschenden Paradigmen in Politik, Theologie und Kultur zu überdenken. Sie ist eine bekennende Reformierte, orthodoxe Presbyterianerin in der Tradition von J. Gresham Machen (1881 - 1937), einem ausgesprochenen Libertären und Verteidiger der christlichen Orthodoxie.
Webseite: https://mereliberty.com/

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