Buch I – Kapitel 1
Ein Gespräch über das Wesen der königlichen Gewalt
Philon: Ich will mit dir, Thomas, über die Natur und das Recht der königlichen Gewalt reden, wenn es dir recht ist.
Thomas: Gewiss. Doch lass uns zuerst festlegen, was du unter königlicher Gewalt verstehst.
Philon: Ich meine jene höchste Gewalt, durch die das Volk in eine geregelte und friedliche Ordnung geführt wird, die von einem oder mehreren Personen gemäß den Gesetzen und zum Wohl des Ganzen ausgeübt wird.
Thomas: Du sprichst also von einer Gewalt, die durch das Volk entsteht?
Philon: Ja. Denn da alle Menschen von Natur gleich geschaffen sind, hat keiner von sich aus ein Recht, über den anderen zu herrschen. Nur durch Zustimmung und Vertrag kann jemand über andere gesetzt werden.
Thomas: Also ist die königliche Gewalt nicht von Natur, sondern aus Übereinkunft entstanden?
Philon: So ist es. Denn die Natur hat uns frei geboren. Herrschaft über Gleiche kann nicht anders entstehen als durch Vereinbarung. Wenn ein Volk aus sich selbst einen König erwählt, überträgt es ihm Macht, aber nur in dem Maß, wie es selbst will, und unter der Bedingung, dass er die Rechte und Freiheiten des Volkes wahrt.
Thomas: Und was, wenn der König diese Bedingung bricht?
Philon: Dann löst er den Vertrag, durch den er König wurde. Denn derjenige, der das Recht missbraucht, verliert das Recht, und der, der den Bund bricht, verliert die Autorität, die nur durch den Bund bestand.
Thomas: So kann also das Volk den König absetzen, wenn er zum Tyrannen wird?
Philon: Ja, und es ist nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht. Denn wie die Bürger verpflichtet sind, dem rechtmäßigen König zu gehorchen, so sind sie ebenso verpflichtet, dem unrechtmäßigen Herrscher zu widerstehen. Gehorsam gebührt der Ordnung, nicht der Willkür.
Thomas: Und wer soll darüber richten, ob der König die Ordnung verletzt hat?
Philon: Nicht der König selbst – denn niemand ist Richter in eigener Sache. Sondern das Volk, das ihn eingesetzt hat, oder die rechtmäßigen Vertreter des Volkes. Sie sind die wahren Hüter des Gemeinwesens.
Buch I – Kapitel 2
Vom Ursprung der Herrschaft und von der Bindung des Königs an das Gesetz
Philon: Wir haben gesagt, dass die königliche Gewalt nicht von Natur stammt, sondern aus Übereinkunft. Nun will ich zeigen, dass selbst diese Macht nicht ohne Gesetz besteht, sondern unter dem Gesetz steht.
Thomas: Du meinst also, dass das Gesetz über dem König steht?
Philon: Unbedingt. Denn das Gesetz ist die Stimme des Volkes, und der König ist der Diener des Volkes. Wo der Diener über den Herrn gesetzt wird, ist die Ordnung verkehrt.
Thomas: Manche aber sagen, der König stehe über dem Gesetz, weil er es geben könne.
Philon: Er gibt das Gesetz nicht als sein Eigentum, sondern als Treuhänder. Was der Wille des ganzen Volkes beschlossen hat, das spricht der König aus. Er ist der Mund, nicht der Geist des Gesetzes.
Thomas: Doch was, wenn der König die Gesetze ändert oder sie nicht hält?
Philon: Dann verlässt er den Pfad, auf dem er gehen soll, und setzt seine eigene Willkür an die Stelle des Rechts. Er hört auf, König zu sein, und wird Tyrann.
Thomas: Aber viele behaupten, der König sei von Gott eingesetzt.
Philon: Auch das ist wahr – aber auf zweierlei Weise. Gott ist der Urheber der Ordnung, durch die Könige entstehen; doch er ist nicht der Urheber jedes einzelnen Königs, der unrechtmäßig herrscht. Wenn jemand ein Amt in Verrat oder Blut ergreift, so ist das nicht Gottes Werk, sondern nur Gottes Zulassung.
Thomas: Also ist die göttliche Einsetzung auf das Amt, nicht auf die Person zu beziehen?
Philon: So ist es. Das Amt ist heilig, weil es dem Recht dient; die Person aber bleibt heilig nur, solange sie dem Recht dient. Wer sich vom Recht löst, fällt auch aus der göttlichen Ordnung.
Thomas: Und was ist das Gesetz selbst?
Philon: Das Gesetz ist nichts anderes als die öffentliche Vernunft, durch die das Volk sich selbst regiert. Es ist älter als jeder König und gilt für alle – auch für den König. Denn wer sich über das Gesetz stellt, stellt sich über die Vernunft und wird zum Feind der Ordnung.
Thomas: Also ist der König nicht Herr des Gesetzes, sondern sein Hüter?
Philon: Genau. Wie der Hirte die Herde schützt, so soll der König das Gesetz schützen. Es ist seine Krone, nicht seine Kette. Wenn er das Gesetz verachtet, zerreißt er die Wurzel seiner eigenen Herrschaft.
Thomas: Du sagst also, der König herrscht nicht durch eigenes Recht, sondern durch das Vertrauen des Volkes und die Bindung an das Gesetz?
Philon: Ja. So wie Gott die Sonne eingesetzt hat, damit sie die Erde erleuchte und wärme, nicht damit sie sie verbrenne, so hat Gott Könige eingesetzt, damit sie das Volk schützen, nicht damit sie es zerstören. Wenn sie ihr Amt verkehren, werden sie wie eine Sonne, die die Welt versengt – ein Übel, das abgewendet werden muss.
Buch I – Kapitel 3
Dass die Gesetze vor den Königen bestanden und das Volk der Ursprung aller rechtmäßigen Gewalt ist
Philon: Du wirst mir sicher zugestehen, Thomas, dass Menschen schon zusammenlebten, ehe es Könige gab.
Thomas: Das kann man nicht bestreiten. Denn ehe jemand herrschen konnte, musste es andere geben, über die er herrscht.
Philon: Gut. Wenn also Menschen vor den Königen waren, so musste auch Ordnung unter ihnen bestehen. Kein Volk kann ohne gewisse Regeln zusammenleben. Diese Regeln heißen Gesetze. Folglich gab es Gesetze, ehe es Könige gab.
Thomas: Das scheint mir einleuchtend.
Philon: Nun frage ich: Wer machte die Gesetze?
Thomas: Ohne Zweifel das Volk selbst, das sie befolgen sollte.
Philon: So also war das Volk der Gesetzgeber, ehe es einen König hatte. Wenn es aber selbst die Gesetze gab, durch die es sich regieren ließ, so war es auch der Ursprung aller rechtmäßigen Gewalt. Denn was von ihm ausgeht, bleibt ihm untergeordnet.
Thomas: Das heißt: Der König empfängt seine Macht vom Volk?
Philon: Ja. Wie der Diener das Siegel seines Herrn trägt, so trägt der König die Macht, die ihm das Volk verliehen hat. Er ist nicht Eigentümer, sondern Verwalter.
Thomas: Und wenn das Volk selbst das Gesetz gemacht hat, darf es dann auch Könige nach eigenem Urteil einsetzen oder absetzen?
Philon: Gewiss. Es behält, was es nicht ausdrücklich abtritt. Wenn ein Volk einem Mann Gewalt gibt, bleibt diese Gewalt an die Bedingung gebunden, dass sie zum Wohl des Ganzen gebraucht werde. Wird sie missbraucht, fällt sie an das Volk zurück, dem sie ursprünglich gehörte.
Thomas: So steht also das Gesetz höher als der König, und das Volk höher als beide?
Philon: Nicht in Anmaßung, sondern in Recht. Denn das Gesetz ist der Wille des Volkes, geordnet nach Vernunft. Der König ist Diener dieses Willens, nicht sein Herr. Er ist gleichsam die lebendige Auslegung des Gesetzes, solange er treu bleibt; sobald er willkürlich handelt, hört er auf, König zu sein.
Thomas: Und wer schützt das Volk, wenn der König das Gesetz bricht?
Philon: Das Gesetz selbst – sofern noch Männer da sind, die ihm treu bleiben. Denn wenn der König das Recht zerstört, wird jeder Bürger zum Wächter des Rechts. Das ist kein Aufruhr, sondern die Wiederherstellung der Ordnung.
Thomas: Also liegt der Ursprung der Herrschaft nicht in göttlicher Geburt oder Macht, sondern im freien Beschluss der Menschen?
Philon: So ist es. Die Herrschaft über Freie kann nur aus deren freiem Willen entstehen. Deshalb bleibt der König, solange er gerecht herrscht, Gottes Diener; wenn er das Recht verletzt, wird er zum Feind Gottes und der Menschen.
Buch I – Kapitel 4
Unterschied zwischen einem rechtmäßigen König und einem Tyrannen
Philon: Wir müssen nun, Thomas, den Unterschied zwischen einem König und einem Tyrannen betrachten, damit klar werde, wem Gehorsam gebührt und wem Widerstand.
Thomas: Gut, denn viele halten jeden Herrscher für einen König, auch wenn er das Recht mit Füßen tritt.
Philon: Ein König ist ein Diener der Gesetze, ein Tyrann ihr Feind. Der König lenkt das Volk durch Recht, der Tyrann durch Furcht. Der König sucht das Wohl seiner Untertanen, der Tyrann seinen eigenen Nutzen. Der König achtet Freiheit, der Tyrann unterdrückt sie.
Thomas: Aber beide gebrauchen Macht. Worin liegt also der eigentliche Unterschied?
Philon: Darin, wie sie sie gebrauchen. Die Macht ist an sich weder gut noch böse – sie wird es durch ihren Zweck. Wenn sie zum Schutz der Gerechten und zur Bestrafung der Bösen dient, ist sie königlich; wenn sie die Gerechten bedrückt und die Bösen schützt, ist sie tyrannisch.
Thomas: Manche sagen, ein Tyrann sei nur ein schlechter König.
Philon: Nein. Der Unterschied ist nicht der Grad, sondern das Wesen. Ein König handelt im Auftrag des Volkes und innerhalb der Gesetze; ein Tyrann handelt gegen das Volk und gegen die Gesetze. Der eine herrscht durch Recht, der andere durch Willkür.
Thomas: Und woran erkennt man, dass ein König zum Tyrannen geworden ist?
Philon: Wenn er Gesetze nach seinem Belieben ändert, wenn er Recht in Unrecht verkehrt, wenn er das Volk wie Eigentum behandelt, wenn er ohne Urteil tötet, raubt, oder fremdes Gut an sich zieht – dann hat er das Band des Vertrages zerrissen.
Thomas: Und was schuldet das Volk einem solchen Herrscher?
Philon: Kein Gehorsam. Denn der Bund, der ihn zum König machte, ist aufgehoben. Wer gegen das Gesetz regiert, ist kein König, sondern ein Feind des Gemeinwesens. Widerstand gegen ihn ist nicht Aufruhr, sondern Gerechtigkeit.
Thomas: Aber könnte nicht jemand aus Eigennutz behaupten, der König sei Tyrann, um selbst die Macht zu ergreifen?
Philon: Das ist möglich – und darum muss das Urteil über solche Fälle nicht Einzelnen, sondern der ganzen Gemeinschaft oder ihren rechtmäßigen Vertretern zustehen. Denn wie die Stimme des Volkes den König einsetzt, so muss sie auch sein Fehlverhalten erkennen.
Thomas: Also ist der König König um der Gerechtigkeit willen, nicht die Gerechtigkeit um des Königs willen?
Philon: Ganz recht. Denn das Recht ist von Gott, der König aber ist nur Werkzeug des Rechts. Gott braucht keine Tyrannen, um seine Ordnung zu wahren. Wer Unrecht liebt, ist nicht Gottes Diener, sondern Gottes Widersacher.
Thomas: So wird also die wahre Majestät nicht durch Furcht erhalten, sondern durch Gerechtigkeit.
Philon: Ja. Denn Liebe ist stärker als Furcht. Das Reich, das durch Recht gegründet ist, steht fest; das, welches auf Furcht ruht, stürzt mit dem ersten Stoß zusammen.
Buch I – Kapitel 5
Dass Gott den Gehorsam gegenüber Tyrannen nicht gebietet, sondern Gerechtigkeit fordert
Philon: Manche, Thomas, meinen, jeder Herrscher sei von Gott, und darum müsse man ihm, auch wenn er Unrecht tue, gehorchen.
Thomas: Ja, sie berufen sich auf das Wort des Apostels Paulus: „Es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wer sich ihr widersetzt, widersteht der Ordnung Gottes.“
Philon: Sie verstehen diesen Satz verkehrt. Paulus spricht von der Ordnung, nicht von der Willkür. Wenn er sagt, die Obrigkeit sei von Gott, meint er die rechtmäßige Gewalt, die Gott eingesetzt hat, um das Gute zu schützen. Nicht jede Person, die Gewalt übt, ist darum Gottes Dienerin.
Thomas: Erkläre das näher.
Philon: Wenn jemand das Schwert nimmt, um Unschuldige zu töten, so ist er nicht Gottes Werkzeug, sondern des Teufels. Ebenso ist der Tyrann kein Diener Gottes, sondern ein Feind seiner Ordnung. Gott gebietet, Obrigkeiten zu ehren, solange sie seine Diener bleiben; hört eine Obrigkeit auf, das Gute zu schützen, verliert sie den göttlichen Auftrag.
Thomas: Aber Gott duldet doch manchmal böse Herrscher.
Philon: Ja, wie er auch Krankheiten oder Kriege zulässt – nicht als Gebot, sondern als Züchtigung. Aus Gottes Zulassung folgt kein Recht. Wer das Böse duldet, soll darum nicht sagen, Gott habe es geboten.
Thomas: Also ist es falsch, Gott für Tyrannei verantwortlich zu machen?
Philon: Ganz und gar. Gott ist die Quelle der Gerechtigkeit. Er will nicht, dass Menschen unterdrückt werden. Wenn Tyrannen herrschen, geschieht es nicht, weil Gott sie beauftragt, sondern weil er die Völker prüft, ob sie Gerechtigkeit mehr lieben als Bequemlichkeit.
Thomas: Und was ist die Pflicht des Christen in solcher Lage?
Philon: Zu unterscheiden zwischen Geduld und Knechtschaft. Wenn das Leiden dem Glauben dient, ist Geduld geboten; wenn das Schweigen das Unrecht stärkt, ist Widerstand Pflicht. Gott befiehlt nicht Unterwerfung unter das Böse, sondern Treue zum Guten.
Thomas: Und wie kann man das Gute erkennen?
Philon: Durch das Gesetz Gottes und durch die Vernunft. Wer nach diesen beiden handelt, steht auf der Seite Gottes, auch wenn er sich gegen einen Thron stellt. Denn Gott selbst hat geboten, den Gerechten zu schützen und den Übeltäter zu strafen – ohne Ausnahme der Person.
Thomas: Also gilt: Gehorsam gegenüber Tyrannen ist Ungehorsam gegen Gott?
Philon: Wenn der Tyrann Gott lästert und das Recht zerstört, ja. Denn dann widerspricht sein Befehl dem göttlichen Willen. Wer dem Tyrannen gehorcht, gehorcht der Sünde; wer widersteht, dient der Gerechtigkeit.
Thomas: Das ist ein ernstes Wort.
Philon: Und ein notwendiges. Denn nichts verdirbt Völker so sehr wie die falsche Meinung, Gott verlange Unterwerfung unter das Unrecht. Gott will, dass Menschen gerecht handeln – selbst gegen Könige. Darum ist nicht der Widerstand, sondern die geduldige Duldung des Unrechts die eigentliche Auflehnung gegen Gott.
Buch I – Kapitel 6
Dass das Volk nicht nur das Recht, sondern die Pflicht hat, einen Tyrannen abzusetzen
Philon: Wir haben nun erkannt, dass ein Tyrann kein rechtmäßiger Herrscher ist. Nun will ich zeigen, dass das Volk nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, ihn zu stürzen.
Thomas: Viele würden meinen, das sei gefährlich; denn Aufstände bringen oft größeres Unheil als sie verhindern.
Philon: Das gilt nur, wenn man das Unrecht lässt, bis es unheilbar geworden ist. Wer die Krankheit zu heilen zögert, weil die Medizin bitter ist, wird an der Krankheit sterben. Genauso ist es mit der Tyrannei: je länger man sie duldet, desto schwerer wird das Heilmittel.
Thomas: Aber wer darf sich an eine solche Tat wagen?
Philon: Das Volk selbst oder seine rechtmäßigen Vertreter, die es eingesetzt hat, um über das Recht zu wachen. Denn wie das Volk die Macht überträgt, so bleibt es auch Richter über deren Gebrauch.
Thomas: Und wenn niemand den Mut hat, den Tyrannen zu stürzen?
Philon: Dann wird Gott selbst Richter sein – aber das Volk bleibt schuldig, weil es das Recht im Stich ließ. Schweigen vor offenem Unrecht ist Mitschuld.
Thomas: Doch könnte der Versuch, einen Tyrannen zu stürzen, das Land ins Chaos stürzen.
Philon: Besser ein kurzer Sturm als ewige Knechtschaft. Der, der den Tyrannen duldet, ruft neue Tyrannen hervor. Freiheit ist ein Gut, das nur durch Tapferkeit erhalten wird.
Thomas: Manche berufen sich auf das Gebot des Friedens und sagen, jeder Widerstand bringe Blutvergießen.
Philon: Frieden ohne Gerechtigkeit ist keine Tugend, sondern Feigheit. Wer um des Friedens willen das Recht verrät, verliert beides – Recht und Frieden. Gott segnet keinen Frieden mit dem Bösen.
Thomas: Also sagst du, dass das Volk verpflichtet ist, den Tyrannen zu bekämpfen?
Philon: Ja. Denn das Volk steht unter denselben göttlichen Geboten wie der König. Wenn es weiß, dass Unrecht geschieht, und dennoch schweigt, macht es sich zum Komplizen. Der, der den Gerechten nicht schützt, verrät ihn.
Thomas: Und wenn der Tyrann durch listige Worte oder falsche Frömmigkeit das Volk täuscht?
Philon: Dann muss das Volk prüfen und urteilen, nicht nach schönen Worten, sondern nach den Taten. Kein Gewand heiligt das Unrecht. Der, der Gottes Namen missbraucht, um Gewalt zu rechtfertigen, ist der schlimmste Gotteslästerer.
Thomas: Aber gibt es ein Maß, wann Widerstand Pflicht wird?
Philon: Ja: sobald das Gesetz nicht mehr gilt, die Richter schweigen, die Kirche unterdrückt wird und das Gewissen geknechtet. Wenn die Obrigkeit Gottes Wort verbietet, hat sie aufgehört, Obrigkeit zu sein. Dann gebietet das Gebot Gottes selbst den Widerstand: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
Thomas: Dann liegt also in der Treue zu Gott die Grenze des Gehorsams gegenüber Menschen.
Philon: Ganz recht. Und wer an dieser Grenze standhält, ist kein Aufrührer, sondern ein wahrer Diener des höchsten Königs. Es ist besser, unterzugehen im Kampf für das Recht, als zu leben in schuldiger Ruhe.
Buch I – Kapitel 7
Wie nach der Beseitigung einer Tyrannei die rechtmäßige Ordnung wiederhergestellt werden soll
Philon: Wir haben also erkannt, dass das Volk verpflichtet ist, einen Tyrannen zu stürzen. Doch was soll danach geschehen, damit nicht neue Wirren entstehen?
Thomas: Das ist eine wichtige Frage. Denn viele Völker haben nach dem Sturz eines Tyrannen größere Übel erfahren, weil sie keine Ordnung fanden.
Philon: Das ist wahr. Der Mensch neigt dazu, die Fesseln zu hassen, aber auch die Zucht zu fliehen. Deshalb muss man, nachdem der Tyrann beseitigt ist, sogleich zum Gesetz zurückkehren. Nicht Rache, sondern Wiederherstellung des Rechts ist das Ziel.
Thomas: Also darf man die Freiheit nicht in Willkür verkehren?
Philon: Gewiss nicht. Freiheit ohne Gesetz ist Anarchie, und Anarchie gebiert neue Tyrannen. Darum ist die erste Pflicht des befreiten Volkes, die Herrschaft der Gesetze wieder aufzurichten – nicht die Herrschaft der Menschen.
Thomas: Und wer soll in dieser Übergangszeit regieren?
Philon: Diejenigen, die vom Volk dazu berufen sind, das Gemeinwohl zu schützen – ehrbare Männer, die nicht Macht suchen, sondern Ordnung. Das Gesetz muss wieder Richter haben, das Recht seine Stimme.
Thomas: Und wie verhindert man, dass sich einer dieser Männer zum neuen Tyrannen erhebt?
Philon: Durch gleiche Bindung aller an das Gesetz. Wer Macht empfängt, soll sie nur auf bestimmte Zeit, in bestimmten Grenzen, und unter öffentlicher Verantwortung führen. Ein Volk, das seine Wächter nicht überwacht, verdient neue Knechtschaft.
Thomas: Das klingt streng, aber gerecht.
Philon: Gerechtigkeit muss streng sein, wenn sie schützen soll. Es ist leichter, das Recht zu verlieren als es wiederzuerlangen. Darum soll das Volk die Erinnerung an die Tyrannei wachhalten, nicht um Hass zu nähren, sondern um die Freiheit zu bewahren.
Thomas: Und was geschieht mit den Helfern und Dienern des Tyrannen?
Philon: Wer durch Gewalt oder Verrat Unschuldige bedrückt hat, soll nach Recht gerichtet werden. Aber die, die aus Furcht dienten, sollen Barmherzigkeit erfahren. Die Gerechtigkeit darf nicht Rachsucht werden.
Thomas: So also besteht die wahre Wiederherstellung nicht in Blut, sondern in Ordnung?
Philon: Ja. Denn das Blut löscht die Schuld nicht aus, wenn das Recht nicht wiederkehrt. Das Ziel jeder Revolution ist nicht Zerstörung, sondern Heilung. Der gerechte Staat ist wie ein Körper, der durch Krankheit geschwächt war und nun durch rechte Arznei wieder gesund wird.
Thomas: Dann ist der Sturz der Tyrannei nur der Anfang, nicht das Ende der Aufgabe.
Philon: Ganz recht. Die Befreiung ist leicht, die Bewahrung schwer. Deshalb müssen alle, die Freiheit lieben, mehr auf die Erziehung des Volkes achten als auf die Vernichtung des Tyrannen. Denn die Tyrannei wächst nicht aus der Stärke des Herrschers, sondern aus der Schwäche des Volkes.
Thomas: So ist also die beste Waffe gegen Tyrannen ein gerechtes und tugendhaftes Volk.
Philon: Das ist der Kern der ganzen Lehre. Wo Tugend und Gesetz geehrt werden, findet die Tyrannei keinen Boden. Darum sei die Freiheit nicht ein Geschenk des Zufalls, sondern die Frucht der Gerechtigkeit.
Buch I – Kapitel 8
Dass Gehorsam gegenüber gerechten Herrschern ebenso Pflicht ist wie Widerstand gegen ungerechte
Philon: Wir haben viel über Tyrannen gesprochen, Thomas. Damit nicht jemand meine Worte missbrauche, will ich nun zeigen, dass der rechtmäßige König mit derselben Treue zu ehren ist, mit der der Tyrann zu verwerfen ist.
Thomas: Das ist notwendig. Denn viele sind geneigt, aus Liebe zur Freiheit auch die rechtmäßige Obrigkeit zu verachten.
Philon: Und das ist ebenso verderblich wie Knechtschaft. Ordnung und Freiheit sind Schwestern – sie leben oder sterben gemeinsam. Wer die Ordnung zerstört, vernichtet auch die Freiheit.
Thomas: Wie also soll der Bürger sich zum gerechten Herrscher verhalten?
Philon: Mit willigem Gehorsam, wie einem Vater gegenüber. Denn der König, der das Gesetz wahrt, ist nicht Herr über seine Untertanen, sondern Vater seines Volkes. Ihm gebührt Liebe, nicht Furcht.
Thomas: Und worin besteht dieser Gehorsam?
Philon: Darin, dass man die Gesetze achtet, die er rechtmäßig durchführt, dass man die Obrigkeit unterstützt, wo sie das Gute schützt, und dass man bereitwillig Lasten trägt, die dem Gemeinwohl dienen.
Thomas: Manche aber meinen, Freiheit bestehe darin, keinen Herrn zu haben.
Philon: Das ist ein Irrtum. Freiheit heißt, dem Recht zu dienen, nicht dem eigenen Begehren. Wer keinem Gesetz gehorcht, ist nicht frei, sondern zügellos. Die höchste Freiheit liegt darin, dem Gerechten freiwillig zu folgen.
Thomas: Und was, wenn ein König übermäßig strenge Gesetze erlässt, aber nicht ungerecht herrscht?
Philon: Solange die Gesetze das Gemeinwohl suchen, auch wenn sie hart erscheinen, sind sie zu tragen. Denn Gerechtigkeit verlangt nicht Bequemlichkeit, sondern Ordnung. Ein strenger König, der Recht liebt, ist besser als ein milder, der Willkür duldet.
Thomas: So also ist der Gehorsam gegenüber dem Gerechten Teil desselben Gesetzes, das auch den Widerstand gegen den Tyrannen gebietet.
Philon: Ganz richtig. Denn beide entspringen derselben Quelle – der Liebe zur Gerechtigkeit. Wer dem Gerechten gehorcht, ehrt Gott, der die Ordnung gestiftet hat. Wer dem Ungerechten widersteht, ehrt denselben Gott, indem er die Ordnung verteidigt.
Thomas: Dann widersprechen sich Gehorsam und Widerstand nicht, sondern ergänzen einander?
Philon: So ist es. Beide sind Werkzeuge derselben Tugend. Wie der Arzt bald heilt, bald schneidet, und doch stets dasselbe Ziel verfolgt – die Gesundheit –, so handelt der Bürger bald mit Gehorsam, bald mit Widerstand, und sucht stets dasselbe Ziel – die Gerechtigkeit.
Thomas: Das ist ein schöner Vergleich.
Philon: Bedenke also: Der Tyrann ist der Feind Gottes, der König sein Diener. Wer den König liebt, weil er gerecht ist, liebt Gott. Wer dem Tyrannen widersteht, weil er ungerecht ist, dient ebenfalls Gott. Zwischen beiden Haltungen steht keine Feindschaft, sondern Einheit im göttlichen Gesetz.
Thomas: Dann kann man sagen: Gehorsam gegenüber dem Gerechten und Widerstand gegen den Ungerechten sind zwei Seiten derselben Treue.
Philon: Ja. Und in dieser Treue liegt die Würde des Menschen: dass er frei ist, weil er nur Gott verpflichtet ist – und allen, die in Gottes Ordnung dienen.
Buch I – Kapitel 9
Dass der gerechte König den Schutz Gottes genießt, der Tyrann aber dem Gericht Gottes verfällt
Philon: Da wir nun gezeigt haben, Thomas, dass Gehorsam und Widerstand gleichermaßen auf Gerechtigkeit beruhen, wollen wir sehen, wie Gott selbst über Könige und Tyrannen richtet.
Thomas: Ich höre. Denn nichts stärkt den Mut so sehr, wie die Gewissheit, dass Gott auf der Seite des Rechtes steht.
Philon: Die Heilige Schrift ist hierin deutlich. Gott hat gesagt: „Durch mich regieren die Könige und ordnen die Richter das Rechte.“ Darum ist der König, der Recht liebt, Werkzeug Gottes. Er steht unter seinem besonderen Schutz, denn er trägt das Abbild göttlicher Gerechtigkeit.
Thomas: Und was geschieht mit dem, der das Recht verachtet?
Philon: Über ihn heißt es ebenso klar: „Er, der Unrecht liebt, hasst seine eigene Seele.“ Tyrannen sind nicht Gottes Diener, sondern Gottes Feinde. Sie tragen das Schwert wider ihn, der es ihnen gab. Und wie sie die Ordnung der Welt stören, so wird Gott selbst ihre Ordnung zerstören.
Thomas: So also wacht Gott über den Gerechten, und über den Tyrannen kommt sein Gericht?
Philon: Ja. Geschichte und Schrift bezeugen es. Der gerechte König steht fest, auch wenn ihn Stürme umgeben; der Tyrann zittert selbst auf dem Thron. Denn das Gewissen des Schuldigen ist ein ständiger Ankläger.
Thomas: Viele Tyrannen sind jedoch alt geworden und starben in Macht.
Philon: Nur dem Auge der Menschen. Doch Gottes Gericht verzögert sich, um vollständiger zu treffen. Wenn der Tyrann im Leben nicht fällt, so fällt sein Name in Schmach, sein Geschlecht in Finsternis. Gott straft nicht immer schnell, aber stets sicher.
Thomas: Und der gerechte König?
Philon: Seine Herrschaft ist Segen. Das Volk blüht unter seiner Hand. Er fürchtet Gott und wird darum von Menschen geehrt. Selbst wenn er stirbt, lebt sein Andenken fort – wie ein fruchtbarer Baum, der neue Zweige treibt.
Thomas: Dann ist die Furcht Gottes der wahre Schild des Königs.
Philon: So ist es. Kein Heer, kein Schatz, keine Mauer schützt so wie ein reines Gewissen. Der König, der auf Gott vertraut und das Recht liebt, braucht keine Leibwache; sein Schutz sind die Herzen der Gerechten und die Macht des Himmels.
Thomas: Und umgekehrt ist der Tyrann umgeben von Waffen, aber ohne Sicherheit.
Philon: Ganz recht. Denn wer Unrecht regiert, muss selbst vor seinen Freunden zittern. Sein Palast ist voll Argwohn, seine Tafel voll Verrat. Gott lässt ihn leben, damit er sich selbst zur Strafe werde.
Thomas: So steht also über jedem Thron ein unsichtbarer Richter.
Philon: Ja. Der Thron Gottes steht über allen Thronen. Und wie er Könige einsetzt, um das Recht zu schützen, so stürzt er sie, wenn sie das Recht zerstören. Darum soll jeder Herrscher wissen: Nicht die Krone, sondern das Gewissen ist sein Heil.
Thomas: Und was gilt für das Volk?
Philon: Dass es für den Gerechten bete und vor dem Ungerechten nicht verzage. Denn Gott verlässt die nicht, die ihm treu sind. Der Tyrann kann das Recht unterdrücken, aber nicht auslöschen. Es ist wie Feuer unter der Asche – es brennt, bis Gott es wieder entfacht.
Thomas: Dann liegt also die letzte Sicherheit des Staates nicht in Menschenhand, sondern in Gottes Gerechtigkeit.
Philon: Genau. Der Staat, der auf Recht und Gottesfurcht gebaut ist, steht fest; der, der auf Willkür ruht, fällt, auch wenn er groß erscheint. Denn alle Reiche, die nicht in Gerechtigkeit gegründet sind, sind nur Paläste aus Sand.
Buch I – Kapitel 10
Zusammenfassung: Die wahre Königsherrschaft beruht auf Gesetz, Vertrag und Gerechtigkeit – nicht auf Erbfolge oder göttlicher Willkür
Philon: Wir sind also, Thomas, zu folgendem Schluss gelangt: Die Herrschaft des Königs ist nicht göttliche Willkür, sondern göttliche Ordnung. Sie ruht nicht auf dem Blut, sondern auf dem Gesetz.
Thomas: Du meinst, die Erbfolge allein begründet keine rechtmäßige Herrschaft?
Philon: Ganz recht. Denn kein Mensch wird durch Geburt Herr über seinesgleichen. Das Amt des Königs entsteht nicht aus dem Leib, sondern aus dem Bund. Erbfolge kann nützlich sein, wenn sie der Ordnung dient – aber sie ist kein göttliches Gebot.
Thomas: Doch viele Völker halten die Erbfolge für eine heilige Einrichtung.
Philon: Das mag aus Bequemlichkeit geschehen, nicht aus Wahrheit. Die Natur kennt keine Krone. Kein Vater kann seinem Sohn das Recht verleihen, über freie Männer zu herrschen. Nur das Volk kann geben, was ihm selbst gehört – und was es gibt, kann es widerrufen.
Thomas: Dann ist die königliche Gewalt also nichts anderes als ein anvertrautes Gut?
Philon: Ja. Ein Lehen, nicht Eigentum. Der König verwaltet, was dem Volk gehört. Wer das Lehen zum Raub macht, verwirkt es.
Thomas: Und der Bund, von dem du sprichst – worin besteht er?
Philon: In gegenseitiger Verpflichtung: Das Volk verspricht Gehorsam dem Recht, der König verspricht Schutz des Rechts. Beide Gelübde stehen unter Gott. Wird eines gebrochen, fällt das andere dahin.
Thomas: Also ist der Bund das Fundament der Herrschaft?
Philon: So ist es. Denn jeder König, der über freie Menschen herrscht, steht auf Vertrag. Ohne Vertrag gäbe es nur Gewalt. Die Gewalt kann Furcht erzeugen, aber keine Treue.
Thomas: Und wie wird dieser Bund bewahrt?
Philon: Durch das Gesetz. Das Gesetz ist der Zeuge zwischen König und Volk – die Schrift, die beide bindet. Darum ist kein Gesetz wahr, das nicht beide schützt, und keine Herrschaft rechtmäßig, die sich über das Gesetz stellt.
Thomas: Dann ist der gerechte König nicht derjenige, der Macht besitzt, sondern derjenige, der sie recht gebraucht?
Philon: Genau. Die Würde des Königs besteht nicht in seiner Gewalt, sondern in seiner Gerechtigkeit. Die Macht ist Werkzeug, die Gerechtigkeit das Ziel. Wer die Macht ohne Gerechtigkeit gebraucht, gleicht einem Schwert in der Hand des Wahnsinnigen.
Thomas: So also kehren wir an den Anfang zurück: Der König ist Diener des Gesetzes und des Volkes.
Philon: Ja – und durch dieses Dienen wird er wahrhaft königlich. Denn Gott selbst herrscht nicht durch Willkür, sondern durch Recht. Er bindet sich an sein Wort; um wieviel mehr sollen Menschen sich an das ihre binden!
Thomas: Das ist ein würdiger Schluss.
Philon: Ja. Denn die Krone ist nicht das Ziel, sondern das Zeichen der Pflicht. Wer sie trägt, ohne dem Recht zu dienen, trägt sie als Schuld, nicht als Ehre.
Buch I – Kapitel 11
Dass der König, wenn er gegen Recht und Vertrag handelt, wie jeder andere Mensch dem Urteil des Gesetzes untersteht
Philon: Nun, Thomas, da wir festgesetzt haben, dass der König an das Gesetz gebunden ist, wollen wir prüfen, ob er auch der Strafe unterliegt, wenn er das Gesetz bricht.
Thomas: Viele halten das für undenkbar – sie sagen, der König könne nicht von Menschen gerichtet werden.
Philon: Das ist ein gefährlicher Irrtum. Wenn der König über dem Gesetz stünde, wäre er kein Mensch mehr, sondern Gott. Aber er ist ein Mensch, der Rechenschaft schuldet, weil er ein Amt trägt. Kein Amt hebt die Natur auf.
Thomas: Aber wer soll den König richten, wenn er das Gesetz verletzt?
Philon: Der, der ihn eingesetzt hat – das Volk. Denn wie derjenige, der ein Amt verleiht, es auch wieder entziehen kann, so kann das Volk den Richter über sich selbst richten, wenn dieser zum Verbrecher wird.
Thomas: Und wenn der König behauptet, er sei nur Gott verantwortlich?
Philon: Das ist das Wort der Tyrannen. Gott hat das Recht nicht gegeben, um es unbrauchbar zu machen. Wenn Gott selbst wollte, dass Könige unbestrafbar seien, hätte er kein Gesetz gegen Mord, Raub oder Meineid gegeben. Doch das Gesetz kennt keinen Unterschied der Personen: Es straft das Böse, wo es geschieht.
Thomas: Aber ist es nicht gefährlich, wenn Untertanen über ihren König urteilen?
Philon: Gefährlich ist es, wenn sie es nicht tun. Denn dann wird das Gesetz zum Spott. Wo das Gesetz nicht mehr über den Mächtigen steht, herrscht Gewalt.
Thomas: Und wenn das Volk irrt?
Philon: Auch Könige irren. Darum sind Gesetze da – nicht um Menschen unfehlbar zu machen, sondern um Irrtum zu begrenzen. Der Weg der Ordnung ist immer besser als der Weg der Furcht.
Thomas: Also ist der König nicht unantastbar, sondern verantwortlich?
Philon: Ja. Die Würde des Amtes entbindet nicht von der Pflicht. Wer über andere Gericht übt, steht selbst unter Gericht. Die Autorität, die ihn schützt, schützt ihn nur, solange er sie nicht missbraucht.
Thomas: Manche werden sagen, dies entziehe dem Königtum seine Majestät.
Philon: Im Gegenteil – es gibt ihm erst wahre Majestät. Denn die Herrschaft, die sich vor dem Recht beugt, spiegelt die Herrschaft Gottes; die, die es verachtet, spiegelt nur den Hochmut des Teufels.
Thomas: Und so verliert der König, der sich über das Gesetz stellt, sein Amt?
Philon: Ja – denn das Amt ist mit dem Gesetz untrennbar verbunden. Wer das Gesetz zerstört, zerstört sein eigenes Amt. Er hört auf, König zu sein, sobald er aufhört, gerecht zu sein.
Thomas: Dann gilt: Kein Mensch steht über dem Gesetz.
Philon: So ist es. Denn das Gesetz ist die Stimme Gottes unter den Menschen. Es erhebt keinen, um ihn über andere zu setzen, sondern um alle unter dasselbe Recht zu stellen. Und wer diese Stimme verachtet, verachtet den, der sie gegeben hat.
Buch I – Kapitel 12
Von der gegenseitigen Ordnung zwischen König, Gesetz und Volk
Philon: Wir haben bisher gezeigt, dass das Gesetz über dem König steht und das Volk der Ursprung der Macht ist. Nun wollen wir sehen, wie diese drei – König, Gesetz und Volk – miteinander verbunden sind.
Thomas: Das ist wohl die wichtigste Frage, denn in dieser Verbindung ruht das Wohl oder Verderben jedes Staates.
Philon: Richtig. Wenn eines dieser drei Glieder schwach oder übermächtig wird, zerreißt das Ganze. Der Staat gleicht einem Dreifuß: Entfernt man eines der Beine, stürzt alles.
Thomas: Beginnen wir mit dem Gesetz.
Philon: Das Gesetz ist das Band, das König und Volk verbindet. Ohne Gesetz ist die Macht des Königs Gewalt, und die Freiheit des Volkes Zügellosigkeit. Das Gesetz hält beide in gleicher Ordnung – es beschränkt, damit sie bestehen können.
Thomas: Und die Aufgabe des Königs?
Philon: Der König ist der Hüter des Gesetzes. Er soll es nicht machen nach Willkür, sondern schützen nach Recht. Er ist gleichsam der Schirm, unter dem das Gesetz sicher wirkt. Seine Macht ist so groß, wie seine Treue zum Gesetz ist.
Thomas: Und das Volk?
Philon: Das Volk ist der Grund, auf dem das Gesetz ruht und für den der König regiert. Ohne Volk ist kein Gesetz nötig, kein König möglich. Doch das Volk muss lernen, dass Freiheit nur im Gehorsam gegen das Gesetz besteht.
Thomas: So entsteht also eine wechselseitige Pflicht.
Philon: Ja. Der König ist gebunden, gerecht zu regieren; das Volk ist gebunden, rechtmäßig zu gehorchen. Beide stehen unter dem Gesetz, und das Gesetz steht unter Gott.
Thomas: Und wenn eines dieser Glieder seine Pflicht vernachlässigt?
Philon: Dann erkrankt der ganze Leib. Wenn das Volk das Gesetz verachtet, wird es zum Aufrührer; wenn der König es bricht, wird er zum Tyrannen; wenn das Gesetz geschwächt wird, werden beide zu Feinden. Nur wo das Gesetz Kraft hat, herrscht Friede.
Thomas: Also ist das Gesetz nicht nur Zügel, sondern auch Schutz?
Philon: Ganz recht. Es zügelt den Bösen, aber es schützt den Gerechten. Es bindet die Mächtigen, damit die Schwachen frei bleiben. Ohne das Gesetz ist das Volk Beute der Gewalt; mit ihm ist es Volk der Freiheit.
Thomas: Und wer wahrt diese Ordnung?
Philon: Alle drei gemeinsam. Der König, indem er gerecht regiert; das Volk, indem es treu gehorcht; das Gesetz, indem es über beide wacht. Wenn sie einander ergänzen, ist der Staat wie ein wohlgestimmtes Instrument.
Thomas: So also besteht die politische Harmonie darin, dass keiner das Maß des anderen überschreitet.
Philon: Ja. Denn Macht ohne Maß zerstört sich selbst. Das Gesetz ist das Maß aller Macht, und Gerechtigkeit ihr Gleichgewicht. Nur wo dieses Gleichgewicht gewahrt bleibt, kann Freiheit dauern.
Thomas: Dann liegt also die Stabilität eines Reiches nicht in Stärke oder Reichtum, sondern in Ordnung.
Philon: Ganz richtig. Ein Königreich, das auf Gold und Schwertern ruht, ist schwach; eines, das auf Recht ruht, ist unerschütterlich. Denn Gold rostet, Schwerter zerbrechen – aber das Recht ist ewig.
Buch I – Kapitel 13
Dass das göttliche Gesetz die oberste Norm aller menschlichen Gesetze ist
Philon: Nun, Thomas, nachdem wir die Ordnung zwischen König, Volk und Gesetz beschrieben haben, müssen wir noch fragen: Welches Gesetz steht über allen anderen?
Thomas: Ich nehme an, du meinst das göttliche Gesetz?
Philon: Ja. Denn alle menschliche Ordnung ist nur dann rechtmäßig, wenn sie mit Gottes Ordnung übereinstimmt. Das göttliche Gesetz ist der Quell, aus dem alle Gerechtigkeit fließt; das menschliche Gesetz ist nur sein Abbild.
Thomas: Also können Könige und Völker keine Gesetze machen, die Gottes Gebot widersprechen?
Philon: Ganz und gar nicht. Denn Gott ist der höchste Gesetzgeber, und kein Mensch darf ändern, was er festgesetzt hat. Wo menschliche Gesetze dem göttlichen widersprechen, verlieren sie ihre Kraft.
Thomas: Und wie erkennt man, ob ein Gesetz göttlichem Recht zuwiderläuft?
Philon: Durch Vernunft und Schrift. Gott hat sein Gesetz in zwei Tafeln gegeben – die eine in Stein, die andere ins Herz. Wenn ein Gebot das Gewissen verletzt oder die Gebote Gottes bricht, so ist es kein Gesetz, sondern Unrecht in Gestalt des Rechts.
Thomas: Dann kann also kein König gebieten, was Gott verboten hat?
Philon: Nein. Denn kein Befehl eines Menschen kann die Pflicht gegen Gott aufheben. Der Christ ist Bürger zweier Reiche – des himmlischen und des irdischen – und das himmlische hat den Vorrang. Wer Gott gehorcht, kann den König nicht beleidigen, wohl aber retten, wenn dieser sündigt.
Thomas: Manche sagen, es sei gefährlich, über göttliches Recht zu urteilen, da jeder es verschieden auslegt.
Philon: Der Irrtum liegt nicht im Gesetz, sondern im Herzen der Menschen. Wenn das Licht der Sonne durch trübe Augen fällt, ist nicht die Sonne schuld. Wer im Gebet und in Demut forscht, erkennt Gottes Ordnung klarer als der, der sie aus Machtinteresse beugt.
Thomas: So also ist das göttliche Gesetz der Maßstab, an dem jedes menschliche Gesetz geprüft werden muss?
Philon: Ja. Wie der Architekt seine Linie am Senkblei richtet, so muss der Gesetzgeber seine Vorschriften am Wort Gottes ausrichten. Wo sie abweichen, stürzt das ganze Bauwerk.
Thomas: Und was, wenn ein ganzes Volk Gottes Gebot verwirft?
Philon: Dann bleibt doch das Gesetz Gottes bestehen. Menschen können es leugnen, aber nicht ändern. Der Himmel fällt nicht, wenn die Erde bebt. Und wie ein Schiff ohne Kompass den Kurs verliert, so verliert ein Staat ohne göttliches Maß den Weg zur Gerechtigkeit.
Thomas: Also ist das göttliche Gesetz die Seele aller irdischen Ordnung.
Philon: Ganz recht. Ohne es sind die Gesetze Körper ohne Leben. Wer Gott aus dem Recht vertreibt, zerstört die Grundlage der Freiheit. Denn Freiheit besteht nicht darin, zu tun, was man will, sondern zu wollen, was Gott befiehlt.
Buch I – Kapitel 14
Dass das göttliche Gesetz Könige und Nationen ebenso bindet wie einzelne Menschen
Philon: Wir haben gezeigt, Thomas, dass das göttliche Gesetz über allem steht. Nun will ich beweisen, dass es alle Menschen gleichermaßen bindet – auch Könige und Völker.
Thomas: Manche meinen, Könige seien von dieser Bindung ausgenommen, weil sie Gesetze geben.
Philon: Das ist ein großer Irrtum. Wenn der König das Gesetz geben darf, so nur, weil Gott es ihm anvertraut hat. Aber der Treuhänder bleibt gebunden an den Willen dessen, der ihm das Gut überlassen hat. Wie der Priester nicht über das Opfer, sondern unter dem Altar steht, so steht der König unter dem göttlichen Gesetz, nicht darüber.
Thomas: Doch Könige berufen sich oft auf ihre göttliche Berufung, um sich über das Gesetz zu erheben.
Philon: Das ist Gotteslästerung. Denn niemand darf den Namen Gottes gebrauchen, um Gott selbst zu widersprechen. Wenn Gott befiehlt, gerecht zu sein, und der König begeht Unrecht, so missbraucht er den Namen dessen, der ihn eingesetzt hat.
Thomas: Also bindet Gottes Gesetz die Krone ebenso wie die Krone das Volk?
Philon: Ja. Gott ist kein Gott der Ansehung der Person. Sein Gesetz unterscheidet nicht zwischen Thron und Hütte. Der Mord bleibt Mord, ob ihn ein König oder ein Bettler begeht. Und der Raub bleibt Raub, auch wenn er mit königlichem Siegel geschieht.
Thomas: Aber kann ein König, der sich über Gottes Gesetz erhebt, von Menschen gerichtet werden?
Philon: Gewiss, wenn er menschliches Recht bricht. Und wenn er das göttliche Recht verachtet, so wird Gott selbst ihn richten – durch Menschen oder ohne sie. Kein Thron ist so hoch, dass Gottes Hand ihn nicht erreicht.
Thomas: Und was ist mit ganzen Völkern, die Gottes Gesetz verwerfen?
Philon: Auch sie stehen unter seinem Gericht. Wie einzelne Menschen durch Sünde untergehen, so verfallen auch Nationen der Strafe. Geschichte ist nichts anderes als das fortschreitende Gericht Gottes über die Völker.
Thomas: Gibt es dafür Beispiele?
Philon: Unzählige. Ägypten, Babel, Assyrien, Rom – sie alle wurden mächtig, solange sie das Recht ehrten, und zerfielen, als sie es mit Füßen traten. So geht es jedem Reich: Wenn es Gott ehrt, steht es; wenn es Gott verachtet, fällt es.
Thomas: So hat also das göttliche Gesetz eine doppelte Kraft – es ordnet und es richtet.
Philon: Genau. Es ist das Maß der Gerechtigkeit und der Hammer des Unrechts. Kein König, kein Volk kann ihm entgehen. Darum ist Weisheit der Anfang jeder Regierung: zu erkennen, dass keine Macht sicher ist, die nicht Gott fürchtet.
Thomas: Dann ist die Furcht Gottes das Fundament jeder guten Herrschaft.
Philon: So lehrt es die Schrift: „Durch die Furcht des Herrn bestehen die Throne.“ Ohne sie ist die Krone nur ein Reif aus vergänglichem Metall. Wer sie ohne Gottesfurcht trägt, krönt sich mit seinem eigenen Untergang.
Thomas: Und das Volk?
Philon: Es muss ebenso wandeln in dieser Furcht. Denn wenn das Volk Gott vergisst, gebiert es Tyrannen. Die Sünde des Volkes macht den König übermütig; die Sünde des Königs macht das Volk elend. Nur wo beide Gott ehren, herrscht Frieden.
Buch I – Kapitel 15
Dass das Recht zur Herrschaft untrennbar an die Pflicht zur Gerechtigkeit gebunden ist
Philon: Wenn wir bisher gezeigt haben, Thomas, dass sowohl Könige als auch Völker an Gottes Gesetz gebunden sind, so folgt nun, dass das Recht zu herrschen nur dem zukommt, der gerecht herrscht.
Thomas: Du meinst also, Gerechtigkeit ist nicht nur Zierde, sondern Bedingung der Herrschaft?
Philon: Genau. Denn Macht ohne Gerechtigkeit ist nichts anderes als Gewalt. Wie ein Räuber den Weg mit dem Schwert erzwingt, so erzwingt der ungerechte Herrscher Gehorsam durch Furcht. Doch Furcht schafft kein Recht, sondern Knechtschaft.
Thomas: Viele halten es jedoch für klug, Macht zu sichern, auch wenn sie Unrecht tut – um wenigstens Frieden zu erhalten.
Philon: Ein trügerischer Friede! Wenn der Friede auf Unrecht beruht, ist er schlimmer als Krieg. Ein Schweigen, das aus Furcht geboren wird, ist keine Eintracht, sondern Erstarrung. Gerechtigkeit allein schafft wahren Frieden, wie Licht die Finsternis vertreibt.
Thomas: Aber wer kann vollkommen gerecht sein?
Philon: Kein Mensch vollkommen, doch jeder kann aufrichtig gerecht sein. Der gute König erkennt seine Grenzen, hört auf Rat, prüft sein Gewissen und richtet nach Recht, nicht nach Willkür. Der Tyrann aber hält sein Begehren für Gesetz.
Thomas: Dann ist also der Unterschied zwischen beiden nicht in der Stärke, sondern in der Gesinnung zu suchen?
Philon: Ja. Der gerechte König gebraucht die Macht zum Wohl anderer, der Tyrann zum eigenen Vorteil. Der eine liebt das Gesetz, der andere fürchtet es. Der eine herrscht durch Recht, der andere durch Gewalt.
Thomas: Und du sagst, wer ungerecht herrscht, verliert das Recht zu herrschen?
Philon: Ja. Denn das Recht zur Herrschaft stammt aus der Pflicht zur Gerechtigkeit. Wenn die Pflicht aufhört, hört das Recht auf. Kein Mensch bleibt Eigentümer dessen, was er zerstört.
Thomas: So ist also die Macht des Königs nicht sein Besitz, sondern sein Auftrag.
Philon: Ganz recht. Sie ist wie ein Amt, das nur besteht, solange es im Dienst der Gerechtigkeit steht. Ein Richter bleibt Richter, solange er Recht spricht; wenn er Unrecht spricht, ist er Verbrecher. Ebenso der König.
Thomas: Und wer prüft, ob ein König gerecht regiert?
Philon: Das Gesetz – und das Volk, das das Gesetz trägt. Denn das Volk ist nicht die Quelle der Willkür, sondern der Vernunft. Es erkennt das Unrecht, wenn es das Recht verliert, so wie das Auge den Schmerz spürt, wenn das Licht verschwindet.
Thomas: So ist also Gerechtigkeit nicht nur Tugend, sondern Fundament der Macht.
Philon: Ja. Alle Macht ohne Gerechtigkeit ist Raub; alle Herrschaft ohne Recht ist Anmaßung. Nur der, der gerecht herrscht, herrscht recht. Denn Gerechtigkeit ist nicht Zutat der Herrschaft, sondern ihre Seele.
Thomas: Dann verliert der König, der ungerecht handelt, nicht nur Gottes Gunst, sondern auch seine Legitimation.
Philon: So ist es. Denn Gott hat keine Gewalt eingesetzt, die gegen ihn arbeitet. Wenn der König die Gerechtigkeit verlässt, verlässt ihn die göttliche Autorität. Was bleibt, ist bloße Kraft – und Kraft ohne Recht ist Aufruhr gegen den Himmel.
Buch I – Kapitel 16
Dass wahre Autorität auf freiwilligem Gehorsam beruht und Zwang keine Treue schafft
Philon: Wenn also, Thomas, das Recht zur Herrschaft an die Gerechtigkeit gebunden ist, folgt, dass wahre Autorität nicht aus Gewalt, sondern aus Zustimmung erwächst.
Thomas: Du meinst, Macht allein kann den Körper zwingen, aber nicht das Herz?
Philon: Genau. Denn die Gewalt zwingt, wo sie nicht überzeugen kann. Doch Gehorsam, der nur aus Furcht kommt, ist keine Treue. Er hält nur, solange die Furcht hält. Sobald die Gefahr weicht, weicht auch der Gehorsam.
Thomas: Dann ist also die wahre Macht die, welche aus Liebe und Vertrauen wächst?
Philon: So ist es. Der König, der gerecht und maßvoll herrscht, braucht keine Soldaten, um seine Krone zu sichern – seine Krone ist im Herzen des Volkes. Denn wer geliebt wird, wird freiwillig gehorcht.
Thomas: Und was ist mit jenen, die sagen, das Volk sei von Natur unruhig und müsse durch Strenge gezähmt werden?
Philon: Sie kennen das Volk nicht, oder sie verachten es. Das Volk liebt Ordnung, wenn es gerecht regiert wird. Nur die Tyrannei macht es wild. Unter gerechten Königen ist das Volk treu; unter Tyrannen wird es zu dem, was man aus ihm macht – zum Feind.
Thomas: Also schafft nicht Freiheit die Unruhe, sondern Unrecht?
Philon: Ganz richtig. Freiheit ist das natürliche Klima der Menschen; Unrecht ist der Sturm, der sie aufwühlt. Wenn die Sonne der Gerechtigkeit scheint, ist das Volk still wie ein See bei Windstille.
Thomas: Und wie gewinnt der König dieses Vertrauen?
Philon: Durch Wahrheit, Maß und Milde. Durch ein offenes Ohr für die Gerechten und ein festes Herz gegen die Bösen. Wer den Rat freier Männer hört, herrscht sicherer als der, der sich mit Schmeichlern umgibt.
Thomas: Dann ist also das Band zwischen König und Volk kein Zwangsband, sondern ein Band des Willens.
Philon: Ja. Denn der Mensch ist geschaffen, um frei zu gehorchen, nicht um geknechtet zu werden. Der wahre König herrscht über freie Menschen, nicht über Sklaven. Wo der Wille gefesselt ist, ist keine Autorität, sondern Despotie.
Thomas: Und was ist mit Gesetzen, die das Volk hasst, auch wenn sie gerecht sind?
Philon: Dann liegt der Fehler meist in der Art ihrer Anwendung. Gesetze sind wie Arzneien: sie müssen in rechter Dosis und zu rechter Zeit verabreicht werden. Ein weiser König achtet auf die Schwäche seines Volkes, ohne dem Unrecht zu weichen.
Thomas: So also ruht die wahre Herrschaft auf freiem Gehorsam, der aus Vertrauen geboren ist.
Philon: Ganz recht. Und dieses Vertrauen kann nur bestehen, wo der König selbst dem Gesetz gehorcht. Wer das Recht achtet, wird geliebt; wer es beugt, wird gefürchtet. Doch die Furcht ist ein schlechter Wächter – sie schläft, sobald der König schwach wird.
Thomas: Dann ist Liebe das stärkste Bollwerk eines Königs.
Philon: Ja. Denn Liebe ist stärker als Waffen, und Vertrauen dauert länger als Macht. Nur wer durch Gerechtigkeit gehorchen lehrt, wird durch Treue regieren.
Buch I – Kapitel 17
Dass Macht, die nicht durch Zustimmung des Volkes begründet ist, widerrechtlich und ohne Autorität ist
Philon: Wir haben festgestellt, Thomas, dass wahre Autorität auf freiem Gehorsam ruht. Nun wollen wir sehen, was von jener Macht zu halten ist, die durch Gewalt, Betrug oder Erbfolge ohne Zustimmung des Volkes entsteht.
Thomas: Ich vermute, du wirst sie keine rechtmäßige Herrschaft nennen.
Philon: Ganz richtig. Denn Herrschaft über Freie kann nur durch ihre eigene Zustimmung entstehen. Wo sie fehlt, ist keine Regierung, sondern Eroberung.
Thomas: Manche aber sagen, Sieg verleihe Recht.
Philon: Sieg beweist nur Stärke, nicht Gerechtigkeit. Der Räuber, der den Wanderer überfällt, „siegt“ – aber wird er darum Eigentümer des Geraubten? Wenn nackte Gewalt Recht wäre, wäre jedes Tier ein König über das schwächere.
Thomas: Aber die Geschichte zeigt, dass viele Reiche auf Eroberung gegründet wurden.
Philon: Das ist wahr – doch das macht sie nicht gerecht. Gott duldet manches, was er nicht billigt. Ein Reich, das auf Unrecht gebaut ist, besteht nur, bis das Unrecht voll wird. Früher oder später fordert Gott Rechenschaft – durch Krieg, Aufruhr oder Zerfall.
Thomas: Und wenn das Volk, nachdem es besiegt wurde, freiwillig die Herrschaft annimmt?
Philon: Dann wird die Gewalt durch Vertrag verwandelt. Sobald das Volk zustimmt, entsteht ein neues Recht. Aber bis dahin bleibt der Sieger Usurpator, kein König.
Thomas: Und was, wenn ein König die Krone durch List oder Erbfolge erhält, ohne das Volk zu fragen, es aber gut regiert?
Philon: Dann ist sein Regiment eine Gnade, nicht ein Recht. Er herrscht de facto, nicht de iure – durch Duldung, nicht durch Legitimation. Er kann Gutes tun, aber er bleibt in Schuld, solange er das Recht der Zustimmung nicht anerkennt.
Thomas: So also ist die Zustimmung des Volkes das Siegel jeder rechtmäßigen Herrschaft.
Philon: Ja. Denn nur sie verwandelt Macht in Autorität. Ohne sie bleibt die Krone ein Raubgut. Gott selbst zwingt den Menschen nicht gegen seinen Willen – um wieviel weniger darf es ein König tun.
Thomas: Dann ist der Usurpator nicht Gottes Diener, sondern sein Gegner.
Philon: So ist es. Denn Gott hat die Herrschaft gestiftet, damit sie Gerechtigkeit übe, nicht Gewalt. Wer sich die Herrschaft aneignet, entreißt Gott das Amt, das er nur dem Recht verliehen hat.
Thomas: Und wenn das Volk die Usurpation hinnimmt, um Blutvergießen zu vermeiden?
Philon: Das mag in Not entschuldigt, aber nicht gerechtfertigt sein. Gott billigt keine Feigheit, die das Unrecht deckt. Besser ein gerechter Kampf als ein ungerechter Friede. Wer aus Furcht schweigt, wird selbst zum Werkzeug des Bösen.
Thomas: Also gilt: Keine Herrschaft ohne Zustimmung – kein Recht ohne Vertrag.
Philon: Ja. Denn Freiheit ist kein Geschenk der Mächtigen, sondern das Erbe der Menschen. Wo sie ohne Zustimmung regiert werden, leben sie als Knechte, nicht als Bürger.
Buch I – Kapitel 18
Dass Gottes Vorsehung keine Tyrannei heiligt, weil Zulassung nicht Billigung ist
Philon: Wir müssen, Thomas, noch eine Verwirrung ausräumen, die viele in geistliche Knechtschaft führt: Sie meinen, jede Obrigkeit, die besteht, müsse auch von Gott gewollt sein, weil sie ohne seinen Willen nicht bestehen könne.
Thomas: Ja, man beruft sich dabei gern auf die Vorsehung – als sei alles, was geschieht, darum schon gerecht.
Philon: Das ist ein Missverständnis, das den Teufel selbst entschuldigen würde. Denn auch er besteht nur, weil Gott ihn duldet – aber wer wollte sagen, er herrsche im Namen Gottes?
Thomas: Also unterscheidest du zwischen Gottes Zulassung und seinem Wohlgefallen?
Philon: Genau. Gott lässt vieles zu, was er verabscheut. Er lässt Kriege, Krankheiten und Verbrechen zu – aber nicht, weil er sie liebt, sondern weil er sie zum Gericht gebraucht. Genauso duldet er Tyrannen, um Völker zu prüfen, nicht um sie zu segnen.
Thomas: Dann darf also niemand aus der bloßen Existenz einer Macht auf ihre Rechtmäßigkeit schließen?
Philon: Niemals. Denn sonst wäre der stärkste Verbrecher der heiligste Mensch. Gott richtet nach Gerechtigkeit, nicht nach Erfolg. Seine Vorsehung umschließt alles, aber sie heiligt nur das Gute.
Thomas: Aber wenn Gott selbst sagt, dass es keine Obrigkeit gibt außer von ihm?
Philon: Das bezieht sich auf die Ordnung, nicht auf den Missbrauch. Die Obrigkeit als solche ist von Gott, weil sie das Recht schützt. Aber der Tyrann, der sie missbraucht, steht gegen Gott, obwohl er unter Gottes Zulassung steht – wie ein Dieb, der Gottes Sonne nutzt, um bei Tageslicht zu stehlen.
Thomas: Also kann man sagen: Gott wirkt durch die Ordnung, aber gegen die Unordnung?
Philon: Ganz recht. Gott ist der Schöpfer der Ordnung; der Mensch der Urheber der Verwirrung. Wer sich gegen die göttliche Ordnung stellt, auch wenn er sich auf Vorsehung beruft, widerspricht dem Schöpfer.
Thomas: Und doch heißt es oft, man müsse sich auch der ungerechten Macht fügen, weil Gott sie zugelassen habe.
Philon: Das ist fromme Feigheit. Geduld ist Tugend, wenn man Unrecht leidet; aber Zustimmung zum Unrecht ist Verrat. Wer die Vorsehung als Schild für die Tyrannei gebraucht, missbraucht Gottes Namen.
Thomas: Also ist Vorsehung kein Beweis der Billigung, sondern ein Zeichen göttlicher Geduld.
Philon: Ja. Gott lässt den Bösen Raum zur Umkehr – aber wer diesen Raum als Freibrief zum Unrecht versteht, häuft sich Gericht auf. Seine Duldung ist kein Siegel, sondern eine Frist.
Thomas: Und was lehrt uns das über die Verantwortung der Menschen?
Philon: Dass sie nicht passiv sein dürfen. Gottes Vorsehung hebt menschliche Pflicht nicht auf, sondern fordert sie erst recht. Wenn Gott uns Mittel und Mut gegeben hat, das Böse zu hindern, und wir es nicht tun, dann sündigen wir gegen dieselbe Vorsehung, auf die wir uns berufen.
Thomas: Dann ist also Trägheit in der Gerechtigkeit kein Vertrauen, sondern Versuchung Gottes.
Philon: Ganz richtig. Wer Gott vertraut, handelt; wer sich hinter Gott versteckt, um nichts zu tun, lästert ihn. Denn Gott will Werkzeuge, keine Zuschauer.
Buch I – Kapitel 19
Dass Gott Tyrannen oft durch menschliche Hände richtet – und dass solche Werkzeuge des Rechts keine Verbrecher, sondern Diener der Gerechtigkeit sind
Philon: Wenn wir, Thomas, nun wissen, dass Gott Tyrannei nicht billigt, sondern duldet, folgt daraus auch, dass er sie zu seiner Zeit richtet. Doch gewöhnlich tut er das nicht durch Wunder, sondern durch Menschen.
Thomas: Du meinst, Gott gebraucht Menschen als Werkzeuge seines Gerichts?
Philon: Ja. So wie er durch Menschen Recht schafft, schafft er auch durch Menschen Vergeltung. Kein Feuer fällt vom Himmel, um den Tyrannen zu vernichten; vielmehr erweckt Gott in den Herzen der Gerechten Mut, die Hand zum Schutz des Rechts zu erheben.
Thomas: Aber wird ein solcher Mensch nicht selbst zum Mörder, wenn er den Tyrannen tötet?
Philon: Nein – nicht, wenn er es im Auftrag des Gesetzes tut. Der Unterschied zwischen Mord und Gerechtigkeit liegt nicht in der Tat, sondern in der Ursache. Der Mörder handelt aus Hass; der Gerechte aus Pflicht. Der eine tötet den Gerechten, der andere den Frevler.
Thomas: Gibt es Beispiele dafür in der Schrift?
Philon: Viele. Ehud erschlug Eglon, den Unterdrücker Israels, und Gott lobte seine Tat. Jael tötete Sisera, und das Lied der Deborah pries sie „gesegnet unter den Frauen“. Gott selbst erweckte Jehu, um das Haus Ahabs zu richten. All diese Menschen waren Werkzeuge göttlicher Gerechtigkeit, nicht Täter menschlicher Willkür.
Thomas: Und doch hat Gott geboten: „Du sollst nicht töten.“
Philon: Richtig – und eben darum muss Mord vom Gericht unterschieden werden. Das Gesetz verbietet privates Töten, nicht gerechtes Richten. Wenn der Tyrann selbst zum Feind des Gesetzes geworden ist, fällt er unter dasselbe Urteil, das er über andere sprach.
Thomas: Also kann Gott durch das Volk oder seine Vertreter den Tyrannen strafen?
Philon: Ja. Denn Gott wirkt nicht nur durch Engel, sondern durch Menschen, wenn sie in Gerechtigkeit handeln. Er gibt dem Schwert seine Würde, nicht damit es schweige, sondern damit es das Böse richte.
Thomas: Aber was, wenn das Volk aus Zorn handelt, nicht aus Pflicht?
Philon: Dann sündigt es. Nicht jede Empörung ist Gericht. Der Zorn des Menschen wirkt nicht Gottes Gerechtigkeit. Doch wenn der Zorn aus Liebe zum Recht kommt, wenn er sich am Gesetz orientiert, wird er zum Werkzeug Gottes.
Thomas: Dann ist also nicht die Tat, sondern die Gesinnung entscheidend?
Philon: Die Gesinnung und die Ordnung. Kein Einzelner darf nach eigener Laune handeln. Aber wenn die rechtmäßigen Vertreter des Volkes, durch Rat und Recht geleitet, gegen den Tyrannen auftreten, dann handeln sie nicht als Rebellen, sondern als Richter.
Thomas: So also gebraucht Gott menschliche Hände, um Unrecht zu strafen, und heiligt sie durch das Recht.
Philon: Genau. Das Schwert der Gerechtigkeit ist heilig, selbst wenn es durch Menschen geführt wird. Der, der es zieht, soll es im Namen Gottes tun – ohne Hass, ohne Gewinn, allein zur Wiederherstellung des Rechts.
Thomas: Dann sind also jene, die einen Tyrannen stürzen, nicht Feinde des Friedens, sondern Befreier des Volkes?
Philon: Ja. Denn der Tyrann zerstört den Frieden, auch wenn er Ruhe erzwingt. Der, der ihn beseitigt, stellt die Ordnung wieder her. Solange Recht und Gesetz ihr Werk tun, herrscht wahrer Friede.
Thomas: Und wenn die Menschen versagen?
Philon: Dann richtet Gott selbst. Aber wehe denen, die schwiegen, wenn sie hätten handeln können. Denn Gottes Gericht fällt nicht nur auf die Tyrannen, sondern auch auf die Feigen, die sie duldeten.
Buch I – Kapitel 20
Dass Völker, die ihre Pflicht zum Widerstand vernachlässigen, an der Schuld der Tyrannei teilhaben
Philon: Wir haben, Thomas, gesehen, dass Gott Tyrannen richtet – teils durch Menschen, teils ohne sie. Nun will ich zeigen, dass die Völker, die Unrecht dulden, selbst am Unrecht teilhaben.
Thomas: Das ist ein hartes Urteil. Viele fürchten, dass Widerstand Unruhe bringt und darum lieber stillhalten.
Philon: Und eben darin liegt ihre Schuld. Denn wer das Böse kennt und schweigt, wird dessen Komplize. Das Schweigen der Gerechten stärkt die Frevler. Kein Volk ist unschuldig, das seine Ketten selbst schließt.
Thomas: Aber manche sagen, Gott werde selbst zur rechten Zeit eingreifen.
Philon: Ja, Gott greift ein – doch oft durch Menschen. Wenn die Menschen untätig bleiben, ist das kein Vertrauen, sondern Versuchung. Wer Gott bittet, das Böse zu beenden, aber nicht bereit ist, selbst das Gute zu tun, spottet seiner eigenen Gebete.
Thomas: Also ist das Dulden der Tyrannei nicht nur Schwäche, sondern Sünde?
Philon: So ist es. Denn Gott hat uns Vernunft, Mut und Gewissen gegeben, um das Gute zu fördern. Wer sie brachliegen lässt, begräbt sein Talent. Das Gleichnis vom faulen Knecht gilt nicht nur für Geld, sondern für Verantwortung.
Thomas: Und doch kann Widerstand gefährlich sein.
Philon: Gewiss – aber Feigheit ist tödlicher. Denn wer das Leben über die Gerechtigkeit stellt, verliert beides. Gott segnet nicht jene, die Sicherheit über Recht setzen. Das Kreuz ist leichter als die Kette.
Thomas: Und wenn das Volk geteilt ist – die einen für, die anderen gegen den Tyrannen?
Philon: Dann soll das Gesetz entscheiden. Wenn das Gesetz schweigt, sollen die Gerechten handeln, nicht im Zorn, sondern in Furcht Gottes. Denn das Recht Gottes steht nicht still, weil Menschen uneins sind.
Thomas: Aber kann ein ganzes Volk schuldig werden, wenn nur die Führer versagen?
Philon: Ja, wenn das Volk sie gewähren lässt. Gott richtet nicht nur die, die Böses tun, sondern auch die, die es dulden. Als Saul das Blut der Gibeoniter vergoss, strafte Gott nicht ihn allein, sondern das ganze Haus Israel.
Thomas: So also wird das Volk zum Mitschuldigen, wenn es schweigt, wo es reden müsste.
Philon: Ja. Schweigen ist Zustimmung, und Zustimmung macht schuldig. Wer Tyrannei duldet, weil er Bequemlichkeit liebt, verkauft sein Erbe für ein Linsengericht. Freiheit verlangt Opfer, aber Knechtschaft kostet die Seele.
Thomas: Und wenn das Volk endlich erwacht?
Philon: Dann mag Gott Gnade geben, aber die Wunden bleiben. Kein Volk wird ohne Schmerz frei, das lange in Knechtschaft lebte. Doch besser ein schmerzlicher Aufbruch zur Gerechtigkeit als ein ruhiges Verfaulen in Schuld.
Thomas: Dann ist also Widerstand nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht, die aus dem Gebot Gottes selbst erwächst.
Philon: So ist es. Gott hat uns geboten, das Gute zu lieben und das Böse zu hassen. Wer das Böse duldet, liebt es still. Darum gilt: Kein Volk bleibt frei, das Gott fürchtet und das Recht liebt – und keines bleibt sicher, das die Gerechtigkeit verschweigt.
Buch I – Kapitel 21
Dass kein Staat Bestand hat, wenn das Volk die Tugend verliert – weil Freiheit ohne Sittlichkeit in Tyrannei umschlägt
Philon: Wir haben, Thomas, viel vom Recht gesprochen und von der Pflicht, es zu verteidigen. Doch das Recht allein genügt nicht, wenn die Herzen verdorben sind. Denn kein Gesetz kann das Gute bewahren, wo die Tugend gestorben ist.
Thomas: Du meinst, das Gesetz lebt vom Charakter des Volkes?
Philon: Ganz recht. Gesetze sind wie Schilde – sie schützen nur, wenn Männer da sind, die sie halten. Wenn die Tugend fällt, werden Gesetze zu bloßen Worten.
Thomas: Und was ist diese Tugend, von der du sprichst?
Philon: Es ist die Liebe zum Guten um des Guten willen – die Bereitschaft, das Rechte zu tun, auch wenn kein Lohn winkt. Tugend ist die Wurzel der Freiheit; ohne sie wächst nur Wildnis.
Thomas: Viele Völker haben große Gesetze, aber schlechte Sitten.
Philon: Und darum gehen sie zugrunde. Die besten Gesetze nützen nichts, wenn sie nicht im Herzen geschrieben stehen. Wo Habgier, Trägheit und Wollust herrschen, da werden bald auch Tyrannen herrschen. Denn der, der sich selbst nicht regiert, wird von anderen regiert.
Thomas: Also zerstört die sittliche Verkommenheit die Freiheit von innen, bevor ein Tyrann sie von außen raubt.
Philon: So ist es. Tyrannen sind nicht die Ursache, sondern das Symptom des Verfalls. Wo die Menschen den Mut, die Arbeit und die Wahrhaftigkeit verlernen, wächst der Boden, auf dem die Tyrannei blüht.
Thomas: Dann ist also Tugend die wahre Mauer eines Volkes, nicht Macht oder Waffen.
Philon: Ja. Ein tugendhaftes Volk kann auch unter Armut frei sein; ein verderbtes ist selbst im Überfluss Knecht. Freiheit entsteht im Gewissen, nicht im Gesetzbuch.
Thomas: Und was ist die höchste Tugend in einer Republik?
Philon: Die Furcht Gottes. Denn aus ihr fließen alle anderen. Wer Gott fürchtet, achtet das Recht; wer ihn verachtet, verachtet jedes Maß. Ohne Gottesfurcht wird Klugheit zur List, Tapferkeit zur Grausamkeit und Freiheit zur Zügellosigkeit.
Thomas: Und wie kann ein Volk Tugend bewahren?
Philon: Durch Erziehung, Erinnerung und Beispiel. Eltern müssen Tugend lehren, Lehrer sie festigen, und Herrscher sie vorleben. Kein Volk bleibt frei, das seine Kinder zu Sklaven der Begierde erzieht.
Thomas: Dann ist also Bildung die erste Pflicht der Freiheit.
Philon: Ja, Bildung im Sinne von Charakterbildung. Nicht Bücher allein, sondern Herz und Gewissen. Ein gebildetes, aber lasterhaftes Volk ist gebildeter im Untergang.
Thomas: So kehren wir zum Anfang zurück: Gott gibt Freiheit, aber der Mensch muss sie durch Tugend bewahren.
Philon: Ganz richtig. Freiheit ist wie ein Feuer: Es wärmt, solange man es nährt, aber es erlischt, wenn man es sich selbst überlässt. Kein Staat wird von außen zerstört, der innen gerecht und gottesfürchtig bleibt.
Thomas: Und wenn die Tugend stirbt?
Philon: Dann kommen Tyrannen wie Krähen über Aas. Gott lässt sie aufsteigen, um ein schlafendes Volk zu wecken. Doch wer die Lektion nicht lernt, wird von ihnen verschlungen.
Thomas: Also ist Tugend nicht Zierde der Freiheit, sondern ihre Bedingung.
Philon: So ist es. Denn Freiheit ohne Tugend ist wie ein Schwert in der Hand eines Kindes – sie führt unvermeidlich zum Verderben.
Buch I – Kapitel 22
Dass Freiheit und wahre Religion untrennbar verbunden sind – und dass der Verlust des Glaubens notwendig den Verlust der Freiheit nach sich zieht
Philon: Wir haben, Thomas, gesagt, dass Tugend die Grundlage der Freiheit ist. Doch Tugend selbst entspringt einer noch tieferen Quelle – der wahren Religion.
Thomas: Du meinst, dass der Glaube an Gott der Ursprung aller bürgerlichen Ordnung ist?
Philon: So ist es. Denn wer Gott als höchsten Herrn anerkennt, weiß zugleich, dass alle menschliche Macht begrenzt ist. Wo Gott gefürchtet wird, kann kein Mensch vergöttert werden. Darum ist Frömmigkeit die Mutter der Freiheit.
Thomas: Und wo die Religion verfällt?
Philon: Dort entsteht die Tyrannei. Denn wenn die Menschen den wahren Gott verlassen, suchen sie sich andere Götter – und finden sie in Menschen. Der, der Gott nicht dienen will, wird Menschen dienen müssen.
Thomas: Dann hängt also die Freiheit eines Volkes von seinem Glauben ab?
Philon: Ganz gewiss. Wenn der Glaube erlischt, erlischt auch das Gewissen, und mit ihm die Kraft zum Widerstand gegen das Böse. Ohne Gottesfurcht gibt es keine Schranke für die Macht. Dann ist der Wille des Stärkeren das einzige Gesetz.
Thomas: Manche behaupten, Religion sei Privatsache und habe mit dem Staat nichts zu tun.
Philon: Das ist eine gefährliche Torheit. Denn Religion formt das Herz, und das Herz formt den Staat. Wenn der Mensch im Innersten gottlos ist, kann keine Verfassung ihn zügeln. Wo der innere Richter schweigt, nützt kein äußerer.
Thomas: Also kann man sagen, dass der Glaube der unsichtbare Grundpfeiler aller sichtbaren Ordnung ist.
Philon: Ja. Gesetze regeln das Äußere, Religion das Innere. Wer die Religion zerstört, sägt den Balken ab, auf dem das Gesetz ruht. Ohne Glauben bleibt nur Angst – und Angst gebiert Knechtschaft.
Thomas: Und was ist wahre Religion nach deiner Auffassung?
Philon: Nicht Zeremonien oder Worte, sondern Erkenntnis und Gehorsam gegen Gott. Wahre Religion erhebt das Gewissen über menschliche Befehle. Sie lehrt, dass nur Gott Herr über den Geist ist – und darum befreit sie den Menschen von jeder irdischen Vergötzung.
Thomas: Dann ist also die wahre Religion zugleich die stärkste Mauer gegen Tyrannei.
Philon: Genau. Denn der, der Gott mehr fürchtet als Menschen, kann niemals Sklave eines Tyrannen werden. So war es bei Daniel, bei den Makkabäern, bei den Märtyrern. Ihr Glaube machte sie frei, auch in Ketten.
Thomas: Und wenn die Religion verfälscht wird, wie zur Zeit, da Menschen sich an Gottes Stelle setzen?
Philon: Dann wird sie selbst zum Werkzeug der Knechtschaft. Die falsche Religion dient nicht Gott, sondern der Macht. Sie spricht Heiligkeit, um Unterwerfung zu verlangen; sie trägt das Kreuz auf der Stirn und das Schwert in der Hand.
Thomas: So also ist der Verfall der Religion der Anfang aller Tyrannei.
Philon: Ja. Wenn das Heiligtum entweiht ist, zieht der Thron nach. Wo der Glaube verfällt, verfällt das Recht. Darum bleibt kein Volk lange frei, das Gott vergisst.
Thomas: Und was ist das Gegenmittel?
Philon: Die beständige Rückkehr zur Wahrheit. Das Wort Gottes ist der Quell, der Tugend und Freiheit zugleich erneuert. Denn Gott allein ist Herr, und wo er geehrt wird, herrscht Freiheit – nicht von außen gegeben, sondern von innen geboren.
Buch I – Kapitel 23
Dass Kirche und Staat nur in rechter Ordnung bestehen, wenn jede Macht ihre Grenzen achtet – und dass keine Obrigkeit das Gewissen beherrschen darf
Philon: Wenn, Thomas, Religion der Grund aller Freiheit ist, dann muss sie frei bleiben, um wahr zu sein. Denn wo sie gezwungen wird, hört sie auf, Religion zu sein.
Thomas: Du meinst, dass der Glaube nur in Freiheit bestehen kann?
Philon: Ja. Glaube ist Überzeugung, nicht Zwang. Niemand kann glauben, weil man es ihm befiehlt. Das Herz lässt sich nicht wie ein Land erobern; es gehört allein Gott.
Thomas: Und doch beanspruchen viele Herrscher, über die Religion zu bestimmen, um den Frieden zu wahren.
Philon: Sie verwechseln Frieden mit Erstarrung. Der wahre Friede entsteht nicht durch Schweigen, sondern durch Wahrheit. Wenn Könige über das Gewissen herrschen wollen, maßen sie sich an, was nur Gott zusteht.
Thomas: Also hat der König keine Gewalt über das, was der Mensch glaubt?
Philon: Keine. Gott allein ist Richter über den Geist. Der König kann Gesetze für den Körper erlassen, aber nicht für das Gewissen. Sobald er über Glauben und Predigt entscheidet, verlässt er sein Amt und tritt in das Reich Gottes ein, das ihm nicht gehört.
Thomas: Und die Kirche – darf sie über den Staat herrschen?
Philon: Ebenso wenig. Denn Christus sprach: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Wenn die Kirche irdische Macht sucht, verliert sie himmlische Autorität. Ihre Waffen sind Wort und Wahrheit, nicht Schwert und Zwang.
Thomas: Dann müssen also beide Reiche – das geistliche und das weltliche – in ihrer eigenen Ordnung bleiben.
Philon: Genau. Der Staat soll die äußere Gerechtigkeit wahren, die Kirche die innere. Wenn das Schwert predigt oder die Kanzel herrscht, ist beides verdorben. Nur wo sie sich gegenseitig achten, bleibt die Freiheit der Seele und des Gemeinwesens erhalten.
Thomas: Aber was, wenn falsche Lehren die Ordnung gefährden?
Philon: Dann soll das Wort Gottes ihnen begegnen, nicht die Gewalt der Menschen. Irrtum wird durch Wahrheit überwunden, nicht durch Feuer. Denn Zwang kann Lippen beugen, aber nicht Herzen.
Thomas: Und wenn jemand das Gesetz missbraucht, um seine Religion anderen aufzuzwingen?
Philon: Dann begeht er Gotteslästerung. Denn er macht sich selbst zum Herrn des Gewissens. Wer glaubt, er könne den Glauben durch Strafen mehren, löscht ihn aus. Gott sucht willige Anbeter, keine Gefangenen.
Thomas: So also liegt die Grenze beider Gewalten darin, dass die eine den Leib, die andere das Herz betrifft.
Philon: Richtig. Der König soll das äußere Leben ordnen, die Kirche das innere lehren. Wo der König predigt oder der Priester befiehlt, herrscht Verwirrung. Freiheit gedeiht nur, wo das Reich der Wahrheit frei bleibt.
Thomas: Dann ist das Gewissen der letzte und heiligste Raum der Freiheit.
Philon: So ist es. Kein Schwert darf ihn verletzen, kein Thron ihn betreten. Wer über das Gewissen herrschen will, setzt sich an den Platz Gottes – und das ist der Ursprung aller Tyrannei.
Thomas: Und so zerstört die Vermischung beider Gewalten sowohl Kirche als auch Staat.
Philon: Ja. Denn was göttlich ist, wird durch Zwang entweiht, und was irdisch ist, wird durch Anmaßung verdirbt. Nur die rechte Ordnung erhält beide: der Staat durch Gerechtigkeit, die Kirche durch Wahrheit, das Gewissen durch Freiheit.
Buch I – Kapitel 24
Dass das freie Gewissen die Quelle des Mutes und der Standhaftigkeit gegen Tyrannen ist
Philon: Da wir nun, Thomas, das Gewissen als den heiligsten Raum der Freiheit erkannt haben, will ich dir zeigen, dass eben dieses Gewissen auch die Quelle des Mutes ist, der Tyrannen trotzt und das Recht bewahrt.
Thomas: Ich sehe, wohin du willst – denn wer innerlich gebunden ist, kann äußerlich nicht frei handeln.
Philon: Ganz richtig. Nur der Mensch, der Gott in seinem Innern fürchtet, fürchtet keinen Menschen. Wer aber Menschen fürchtet, kann Gott nicht treu bleiben. Darum ist das freie Gewissen die Wurzel aller Tapferkeit.
Thomas: Manche nennen das Starrsinn oder Aufruhr.
Philon: Nur die Tyrannen nennen es so. Sie nennen Glauben Trotz und Standhaftigkeit Verbrechen. Doch Gott nennt es Gehorsam. Denn wer dem Gewissen folgt, folgt ihm – selbst gegen die Welt.
Thomas: Aber kann man das Gewissen nicht irren?
Philon: Gewiss, wenn es nicht durch das Wort Gottes erleuchtet ist. Doch das irrende Gewissen ist kein Grund, es zu knebeln. Irrtum heilt man durch Wahrheit, nicht durch Zwang. Und selbst der Irrende bleibt Mensch, dem man Überzeugung, nicht Gewalt schuldet.
Thomas: So ist also das freie Gewissen zugleich eine Schule der Vernunft.
Philon: Ja. Denn wer denkt, wird prüfen; und wer prüft, wird lernen. Die Tyrannei will keine Gewissen, sondern Werkzeuge. Darum hasst sie Bildung und Glauben gleichermaßen – beide machen frei.
Thomas: Und was geschieht, wenn das Gewissen zum Schweigen gebracht wird?
Philon: Dann schweigt bald auch das Recht. Denn das Recht lebt aus dem Gewissen der Menschen. Wenn niemand mehr innerlich weiß, was gut ist, wird bald niemand mehr äußerlich tun, was recht ist.
Thomas: Dann ist das Gewissen gleichsam das innere Gericht, das der äußeren Gerechtigkeit vorausgeht.
Philon: So ist es. Das göttliche Gesetz spricht zuerst im Innern, ehe es in Bücher geschrieben wird. Darum beginnt aller Mut zur Gerechtigkeit im Herzen. Der, der in seinem Gewissen frei ist, kann selbst im Kerker nicht gefangen sein.
Thomas: So wie Paulus in Ketten freier war als seine Richter.
Philon: Ein treffendes Beispiel. Denn Freiheit ist kein Zustand des Körpers, sondern des Geistes. Der Tyrann kann das Fleisch schlagen, aber nicht die Seele beherrschen. Darum fürchtet er das freie Gewissen mehr als das Schwert.
Thomas: Und der Mensch, der seinem Gewissen folgt, fürchtet den Tod nicht mehr?
Philon: Nein. Denn er weiß, dass der Tod nur den Körper trifft. Der Gerechte stirbt, aber die Gerechtigkeit lebt. Und darum bleibt das Blut der Märtyrer der Same der Freiheit.
Thomas: So also ist das freie Gewissen die unzerstörbare Festung gegen jede Tyrannei.
Philon: Ja. Solange es Herzen gibt, die Gott mehr gehorchen als Menschen, kann keine Gewalt endgültig siegen. Denn das Reich der Wahrheit ist nicht von dieser Welt, und doch ist es das Einzige, das ewig bleibt.
Buch I – Kapitel 25
Dass die höchste Pflicht des Königs darin besteht, das Gewissen frei zu lassen und selbst vor Gott Rechenschaft abzulegen
Philon: Wir haben gesehen, Thomas, dass das freie Gewissen die Quelle des Mutes und der wahren Freiheit ist. Nun wollen wir betrachten, was dies für den König bedeutet.
Thomas: Ich ahne deine Antwort – dass der König das Gewissen seiner Untertanen achten muss.
Philon: Ganz recht. Denn Gott allein ist Herr über den Geist. Der König darf das Gewissen weder fesseln noch führen wollen. Seine Aufgabe ist, das Böse zu hindern, nicht den Glauben zu erzwingen.
Thomas: Doch manche Könige sagen, sie müssten über die Religion wachen, um Einheit und Frieden zu sichern.
Philon: Das ist eine fromme Täuschung. Denn der Friede, der auf Zwang beruht, ist kein Friede, sondern Furcht. Einigkeit im Irrtum ist schlimmer als Streit in der Wahrheit. Wenn der König das Gewissen lenken will, wird er bald Gewaltherrscher über Körper und Seele zugleich.
Thomas: Also soll der König seine Untertanen frei glauben lassen, auch wenn sie irren?
Philon: Ja – solange sie das öffentliche Recht nicht verletzen. Denn Irrtum ist Sache des Geistes, Unrecht aber Sache der Tat. Der König soll Irrtum mit Wort und Wahrheit bekämpfen, nicht mit Feuer und Blut. Gott hat Propheten gesandt, keine Henker.
Thomas: Und wie steht es mit dem eigenen Gewissen des Königs?
Philon: Das ist seine höchste Verantwortung. Kein Mensch steht über ihm, aber er selbst steht unter Gott. Der König, der recht regieren will, muss zuerst lernen, sich selbst zu regieren. Wer sich seinem Gewissen verschließt, öffnet der Willkür die Tür.
Thomas: Also soll der König vor Gott Rechenschaft ablegen, wie ein Verwalter vor seinem Herrn?
Philon: Ja. Denn er trägt ein geliehenes Amt, nicht göttliche Selbstständigkeit. Gott hat ihn eingesetzt, um Gerechtigkeit zu üben – nicht, um sich selbst zu erhöhen. Wenn er herrscht, als sei er Gott, wird Gott ihn richten, als sei er Mensch.
Thomas: Und wie kann ein König sich selbst prüfen, ob er recht handelt?
Philon: Durch das Gesetz Gottes und durch das Urteil seines Gewissens. Er soll täglich fragen, ob seine Befehle dem dienen, was recht ist, nicht dem, was nützlich scheint. Wer nach Nützlichkeit regiert, verliert bald das Recht; wer nach Gewissen regiert, gewinnt Gottes Segen.
Thomas: Und was geschieht, wenn der König gegen sein Gewissen handelt, um Macht oder Ruhe zu behalten?
Philon: Dann verkauft er seine Seele für seinen Thron. Denn kein Reich ist sicher, das gegen das Gewissen seines Herrschers gebaut ist. Das Gewissen ist der innere Thron, auf dem Gott sitzt. Wer es verrät, stürzt sich selbst, auch wenn er äußerlich siegt.
Thomas: So also ist das freie Gewissen nicht nur das Recht des Volkes, sondern auch die Pflicht des Königs.
Philon: Ganz recht. Der König soll es schützen im Volk und ehren in sich selbst. Nur wer in seinem Innern frei ist, kann ein freies Reich regieren.
Thomas: Und wer das Gewissen knechtet, legt die Axt an die Wurzel der Freiheit.
Philon: So ist es. Denn die Tyrannei beginnt immer im Herzen – zuerst im Herzen des Herrschers, dann im Herzen des Volkes. Wo der König Gott fürchtet, ist Freiheit; wo er Menschen fürchtet, ist Knechtschaft.
Buch I – Kapitel 26
Dass Gottes Herrschaft das Urbild jeder rechtmäßigen Obrigkeit ist – und dass der König sein Amt verliert, sobald er sich weigert, nach diesem Vorbild zu handeln
Philon: Wir haben nun, Thomas, von vielen Seiten betrachtet, was das Amt des Königs ausmacht. Zum Abschluss dieses Teils will ich zeigen, dass alle rechtmäßige Herrschaft nur ein Abbild der göttlichen ist.
Thomas: Du meinst, der König soll regieren, wie Gott regiert?
Philon: Ja, soweit es einem Menschen möglich ist. Gott herrscht durch Weisheit, Gerechtigkeit und Güte – nicht durch Furcht oder Gewalt. Er sucht das Wohl seiner Geschöpfe, nicht seine eigene Erhöhung. Darin liegt das wahre Vorbild königlicher Würde.
Thomas: Und wenn der König anders handelt?
Philon: Dann verlässt er das Bild, dessen Stellvertreter er sein sollte. Denn die Herrschaft Gottes ist das Muster, und die menschliche Macht ist nur ihr Schatten. Wenn der König die göttliche Ordnung verwirft, zerstört er das Fundament seines Amtes.
Thomas: Also ist die göttliche Regierung nicht nur Beispiel, sondern auch Maßstab?
Philon: Ganz recht. Wie die Sonne der Erde Licht gibt, so gibt Gottes Herrschaft allen irdischen Gewalten ihren Glanz. Wenn sie sich von ihr abwenden, bleiben sie in Dunkelheit.
Thomas: Was folgt daraus für den König selbst?
Philon: Dass er täglich vor Gott Rechenschaft ablegen muss, ob seine Regierung der göttlichen ähnelt. Wenn er gerecht, maßvoll und barmherzig ist, bleibt er König im vollen Sinn; wenn er ungerecht, stolz und grausam wird, verliert er sein königliches Wesen, auch wenn er die Krone behält.
Thomas: Dann kann ein König also äußerlich herrschen, aber innerlich abgesetzt sein?
Philon: Ja. Vor Gott ist er schon gefallen, ehe das Volk es merkt. Denn Gott nimmt ihm seine Salbung, sobald er sie missbraucht. Wie Saul verlor er die Gnade, ehe er das Reich verlor.
Thomas: Und wer erkennt diesen Verlust?
Philon: Zuerst das Gewissen des Königs selbst. Dann die Gerechten im Volk, die an den Früchten die Wurzel erkennen. Der Tyrann kann die Formen der Macht behalten, aber nicht den Geist der Herrschaft.
Thomas: So ist also der König nur so lange König, wie er Gottes Diener bleibt.
Philon: Genau. Denn Gott teilt seine Autorität nur mit denen, die in seinem Namen handeln. Wer sie gegen ihn gebraucht, begeht Sakrileg. Der Thron wird ihm zur Last, und seine Krone zum Urteil.
Thomas: Das ist ein ernster Maßstab.
Philon: Und ein heiliger. Denn Macht ohne Gottesfurcht ist wie Feuer ohne Herd: sie brennt, was sie wärmen soll. Darum soll jeder König wissen, dass seine Ehre nicht in der Menge seiner Diener, sondern in der Ähnlichkeit mit seinem Herrn besteht.
Thomas: Dann gilt: Je mehr der König Gott ähnelt, desto wahrer ist seine Herrschaft.
Philon: So ist es. Denn wahre Majestät besteht nicht im Befehl, sondern im Dienst; nicht im Zwang, sondern in der Liebe. Der König ist Abbild Gottes, solange er Gerechtigkeit übt – aber Gleichnis des Teufels, sobald er sie verachtet.
Buch I – Kapitel 27
Dass die höchste Tugend des Herrschers die Selbstbeherrschung ist – denn wer sich selbst nicht regiert, kann über niemanden recht herrschen
Philon: Wir haben gesehen, Thomas, dass der König im Abbild Gottes regieren soll. Darum ist die erste und höchste Tugend des Herrschers die Beherrschung seiner selbst.
Thomas: Du meinst, dass er sein eigenes Herz regieren muss, bevor er über andere herrscht?
Philon: Genau. Denn Herrschaft beginnt im Innern. Wer sich selbst nicht zügelt, wird bald seine Macht missbrauchen. Der, der seine Begierden nicht bezwingt, wird auch seine Untertanen nicht gerecht behandeln.
Thomas: Aber viele glauben, ein König dürfe sich mehr erlauben als andere.
Philon: Das ist der Ursprung aller Verderbnis. Denn je höher das Amt, desto strenger die Pflicht. Der König soll kein größeres Maß an Freiheit, sondern ein größeres Maß an Tugend besitzen. Wer über andere gesetzt ist, steht zugleich unter höherem Gericht.
Thomas: Und worin besteht diese Selbstbeherrschung konkret?
Philon: In der Mäßigung der Leidenschaften – Zorn, Habsucht, Eitelkeit, Wollust. Der König, der sich selbst bezwingt, ist stärker als der, der Länder erobert. Denn es ist leichter, Städte zu unterwerfen, als das eigene Herz.
Thomas: Und wenn ein König sich seiner Leidenschaften hingibt, verliert er dann seine Autorität?
Philon: Ja, innerlich zuerst, dann äußerlich. Ein König, der zum Sklaven seiner Lüste wird, herrscht nicht, sondern wird beherrscht. Seine Krone ist nur Schmuck eines Gefangenen.
Thomas: So also ist Selbstbeherrschung die Grundlage aller guten Regierung.
Philon: Ganz recht. Denn sie bewahrt den Geist klar, das Urteil gerecht, und das Herz barmherzig. Ein unbeherrschter König ist unberechenbar; ein maßvoller aber ist wie ein fester Fels, an dem die Stürme der Welt abprallen.
Thomas: Und wie kann ein König diese Tugend bewahren inmitten von Macht und Schmeichelei?
Philon: Durch Erinnerung an seine Sterblichkeit und Verantwortung. Er soll sich täglich daran erinnern, dass er Staub ist und Rechenschaft geben muss. Wer über Menschen herrscht und Gott vergisst, wird bald zum Tier.
Thomas: Also liegt wahre Größe nicht im Gebieten, sondern im Besiegens seiner selbst.
Philon: So ist es. Denn Macht prüft den Charakter. Der Gerechte gebraucht sie wie ein Werkzeug; der Ungerechte wie ein Rausch. Darum ist der größte Sieg des Herrschers der über das eigene Herz.
Thomas: Dann ist die Krone nur ein Symbol dieser inneren Herrschaft.
Philon: Ja. Sie glänzt nur, solange sie Tugend bedeckt. Ohne Tugend ist sie bloß Metall. Der, der sich selbst regiert, ist König auch ohne Krone; der, der sich selbst verliert, ist Sklave auch auf dem Thron.
Thomas: So also ist Selbstbeherrschung nicht nur Zierde, sondern Wesen der königlichen Würde.
Philon: Genau. Denn Gott selbst, der höchste König, regiert nicht durch Zorn oder Willkür, sondern durch Maß und Weisheit. Wer ihm ähnlich sein will, muss zuerst lernen, sich selbst zu beherrschen – sonst wird er Werkzeug des Bösen, nicht Diener Gottes.
Buch I – Kapitel 28
Dass die Pflichten von König und Volk auf Gegenseitigkeit beruhen – und dass kein Gehorsam verlangt werden darf, wo die Gerechtigkeit fehlt
Philon: Wir haben, Thomas, von der Pflicht des Königs gesprochen, sich selbst zu regieren. Nun müssen wir sehen, wie sich seine Pflicht zu seinem Volk verhält – und wie die des Volkes zu ihm.
Thomas: Ich nehme an, du willst sagen, dass beide einander verpflichtet sind?
Philon: Ganz recht. Denn das Band zwischen König und Volk ist ein Bund, nicht ein Joch. Wie der König das Volk regieren soll durch Recht und Milde, so soll das Volk dem König gehorchen durch Treue und Achtung. Aber wo das eine fehlt, fällt auch das andere.
Thomas: Also ist der Gehorsam des Volkes an Bedingungen gebunden?
Philon: Ja, an dieselben Bedingungen, unter denen der König herrscht – an das Gesetz. Der König regiert nur rechtmäßig, solange er gerecht ist; das Volk gehorcht nur rechtmäßig, solange es der Gerechtigkeit folgt.
Thomas: Aber viele sagen, Gehorsam sei immer Pflicht, auch gegen den ungerechten Herrscher.
Philon: Das ist die Lehre der Sklaven, nicht der Christen. Gott gebietet Gehorsam um der Ordnung willen, nicht um der Willkür willen. Wenn die Ordnung zerstört ist, hört der Gehorsam auf.
Thomas: Und was, wenn das Volk zu früh meint, die Ordnung sei verletzt, und sich gegen den König erhebt?
Philon: Dann sündigt es. Doch wer aus Furcht vor Missbrauch jede Pflicht leugnet, zerstört das Recht selbst. Das Volk soll urteilen nach Gesetz, nicht nach Laune. Aber wo das Gesetz geschändet wird, ist Schweigen Verrat.
Thomas: Also liegt die Pflicht des Volkes nicht im blinden Gehorsam, sondern in der wachen Treue.
Philon: Ja. Treue ist mehr als Unterwerfung; sie ist Gehorsam in Wahrheit. Sie ehrt den König, indem sie ihm widerspricht, wenn er Unrecht tut. Denn wahrer Gehorsam richtet sich nach Gott, nicht nach Menschen.
Thomas: Und die Pflicht des Königs?
Philon: Sie ist, das Recht zu schützen und das Volk zu dienen. Der König ist Hüter des Gesetzes, nicht Herr über das Gewissen. Wenn er das Gesetz bricht, verrät er den Eid, durch den er König wurde.
Thomas: So also verlieren beide ihre Würde, wenn sie ihre Pflicht vergessen – der König seine Krone, das Volk seine Freiheit.
Philon: Genau. Denn der Bund ist wie ein Leib: Wenn eines der Glieder verfault, leidet das Ganze. Darum müssen beide sich gegenseitig stärken – der König durch Gerechtigkeit, das Volk durch Treue.
Thomas: Und wenn der König gerecht herrscht, das Volk aber ungehorsam wird?
Philon: Dann sündigt das Volk schwerer, weil es gegen das Gute kämpft. Doch wenn der König das Böse befiehlt, sündigt das Volk, wenn es gehorcht. Denn kein Befehl kann die Sünde entschuldigen.
Thomas: So ist also die höchste Pflicht beider dieselbe – Gott zu fürchten und das Recht zu lieben.
Philon: So ist es. Gott ist Zeuge dieses Bundes. Er belohnt die, die ihn halten, und richtet die, die ihn brechen – ob Thron oder Volk. Denn keine Seite kann die andere schuldig machen, ohne selbst Schuld zu tragen.
Thomas: Dann ist also die Ordnung des Staates nichts anderes als ein Abbild des göttlichen Bundes zwischen Herr und Mensch.
Philon: Ein treffendes Wort. Wie Gott seine Gebote gibt und der Mensch sie halten soll, so gibt das Gesetz dem König und dem Volk ihre Pflichten. Nur wo beide in dieser Ordnung stehen, herrscht Friede und Freiheit.
Buch I – Kapitel 29
Dass der Vertrag zwischen König und Volk durch Eid besiegelt ist – und dass der Bruch dieses Eides den Herrscher seines Amtes entkleidet
Philon: Wir haben, Thomas, gesagt, dass das Band zwischen König und Volk ein Bund ist, gegründet auf gegenseitige Pflicht. Nun müssen wir sehen, wie dieser Bund bestätigt wird.
Thomas: Ich vermute – durch den Eid, den der König bei seiner Krönung leistet.
Philon: Ganz recht. Der Eid ist das Siegel des Bundes. Er ist nicht bloß Zeremonie, sondern ein heiliger Vertrag zwischen Gott, König und Volk. Der König schwört, gerecht zu herrschen, die Gesetze zu achten und das Recht zu schützen. Das Volk schwört, ihm zu gehorchen, solange er das tut.
Thomas: Dann ist also der Eid nicht einseitig, sondern beiderseitig bindend.
Philon: Ja. Denn wie kein Richter ohne Eid Recht spricht, so darf kein König ohne Eid herrschen. Der Eid macht seine Macht rechtmäßig – nicht das Blut, nicht die Gewalt.
Thomas: Und wenn der König den Eid bricht?
Philon: Dann bricht er den Bund, der ihn zum König machte. Denn der Eid ist Bedingung seiner Herrschaft. Wer die Bedingung aufhebt, hebt das Recht auf, das darauf gründet. Der Eid ist wie das Fundament eines Hauses: wenn es zerfällt, stürzt das Gebäude ein.
Thomas: Aber viele sagen, ein König könne sich nicht selbst entthronen.
Philon: Er kann nicht aufhören, Mensch zu sein – aber er kann aufhören, König zu sein. Wenn er schwört, Gott zu dienen, und Gott verleugnet; wenn er schwört, das Recht zu schützen, und es zerstört; dann bleibt er wohl ein Herrscher im Namen, aber nicht im Recht.
Thomas: Und was gilt für das Volk in diesem Fall?
Philon: Das Volk ist vom Eid des Gehorsams entbunden. Denn kein Bund verpflichtet zur Sünde. Der Eid, der zum Guten bindet, verliert seine Kraft, wenn das Gute selbst zerstört wird. So wie ein Knecht frei wird, wenn sein Herr ihn in die Sünde zwingt, so wird das Volk frei, wenn der König es zur Ungerechtigkeit treibt.
Thomas: Also ist der Eid keine Kette, sondern eine Bürgschaft der Gerechtigkeit.
Philon: Ganz richtig. Er bindet nicht an den Menschen, sondern an das Recht. Wer ihm treu bleibt, bleibt Gott treu; wer ihn bricht, widersetzt sich Gott. Darum ist der Eid das heiligste Band der Herrschaft – und zugleich ihr Prüfstein.
Thomas: Und wer darf über den Eidbruch des Königs urteilen?
Philon: Zuerst Gott, dann das Gesetz, und schließlich das Volk, das den Eid empfing. Denn der Eid ist öffentlich, und sein Bruch betrifft alle. Kein König kann im Geheimen gegen das Recht sündigen, ohne dass das Reich darunter leidet.
Thomas: So also verliert der König durch Eidbruch die göttliche und die menschliche Legitimation zugleich.
Philon: Ja. Er steht dann wie ein Verräter da – nicht gegen Menschen, sondern gegen den Herrn, in dessen Namen er regierte. Und Gott selbst wird sein Richter sein, wenn das Volk schweigt.
Thomas: Dann ist der Eid das Siegel der Freiheit – und sein Bruch das Zeichen des Untergangs.
Philon: So ist es. Denn die Freiheit ruht nicht auf Macht, sondern auf Treue. Wo der Eid gehalten wird, steht das Reich; wo er gebrochen wird, wankt der Thron.
Buch I – Kapitel 30
Schlussfolgerung: Alle rechtmäßige Herrschaft geht vom Volk aus, ist durch das Gesetz gebunden und steht unter Gottes Ordnung – allein die Gerechtigkeit trägt die Krone
Philon: Wir haben, Thomas, in allen Teilen untersucht, woher die königliche Gewalt stammt, wie sie beschaffen ist, wodurch sie erhalten und wodurch sie verloren wird. Nun bleibt nur, den ganzen Sinn unserer Betrachtung in wenige Worte zu fassen.
Thomas: Ich bin begierig, das zu hören.
Philon: Alle rechtmäßige Herrschaft geht von Gott aus, der allein die Quelle der Ordnung ist. Doch Gott überträgt diese Macht nicht unmittelbar einzelnen Menschen, sondern dem ganzen Volk. Denn das Volk ist die Gemeinschaft freier Wesen, geschaffen nach Gottes Bild, und empfängt von ihm das Recht, sich in Gerechtigkeit zu regieren.
Thomas: Also ist das Volk der erste Träger der Macht, und der König ihr Beauftragter?
Philon: So ist es. Der König empfängt die Macht nicht als Eigentum, sondern als Amt. Er ist der erste Diener des Gesetzes, nicht sein Herr. Seine Autorität reicht nur so weit, wie sie durch das Gesetz begrenzt ist.
Thomas: Und das Gesetz selbst – woher stammt es?
Philon: Aus der Vernunft, die Gott in alle Menschen gelegt hat, und aus seinem offenbarten Wort. Das Gesetz ist die gemeinsame Stimme Gottes und des Gewissens. Es bindet König und Volk gleichermaßen, weil beide Geschöpfe desselben Herrn sind.
Thomas: Dann ist die Gerechtigkeit das Herz des ganzen Baues.
Philon: Genau. Ohne Gerechtigkeit ist Macht Raub, und Gehorsam Sklaverei. Gerechtigkeit allein verleiht der Macht Würde und dem Gehorsam Freiheit. Sie ist die Krone des Königs, der Schild des Volkes und das Band, das Himmel und Erde verbindet.
Thomas: Und was geschieht, wenn die Gerechtigkeit verfällt?
Philon: Dann zerfällt alles. Denn Gerechtigkeit ist das Fundament des Thrones, die Wurzel der Gesetze, die Seele des Staates. Wenn sie verloren geht, bleibt nichts als Gewalt, Betrug und Untergang.
Thomas: So also ist das Reich, das auf Gerechtigkeit ruht, Gottes Werk – das aber, das auf Unrecht steht, ist Werk des Menschen.
Philon: Ja. Und wie jedes Werk des Menschen vergeht, so bleibt Gottes Werk ewig. Darum gilt: Nur wer nach Gerechtigkeit regiert, bleibt in Gottes Bund; wer nach Willkür herrscht, fällt unter Gottes Gericht.
Thomas: Dann ist Freiheit die Frucht der Gerechtigkeit, und Gerechtigkeit die Frucht des Glaubens.
Philon: Treffend gesagt. Denn Glaube verbindet den Menschen mit Gott, Gerechtigkeit mit seinem Nächsten, Freiheit mit sich selbst. So bilden diese drei den Dreiklang einer gottgemäßen Ordnung.
Thomas: Und wie soll ein Volk diese Ordnung bewahren?
Philon: Indem es Gott ehrt, das Gesetz liebt und gerechte Herrscher wählt. Kein Eid, kein Erbe, kein Schwert kann ein Reich sichern, das die Gerechtigkeit verlässt. Aber selbst die kleinste Gemeinschaft bleibt stark, wenn sie in Wahrheit und Gottesfurcht steht.
Thomas: Dann ist die wahre Krone nicht aus Gold, sondern aus Tugend.
Philon: So ist es. Gold rostet, Gewalt vergeht, Macht erlischt – aber Gerechtigkeit bleibt. Sie ist die Krone, die Gott selbst den Königen reicht, und die kein Mensch entreißen kann außer sie selbst.
Thomas: So endet also unser Gespräch mit derselben Wahrheit, mit der es begann: Kein König steht über dem Gesetz, kein Volk über Gott, und kein Mensch über die Gerechtigkeit.
Philon: Ein guter Schluss. Denn alle Ordnung endet, wo diese Wahrheit vergessen wird. Doch wo sie gelebt wird, herrscht Freiheit, Friede und Gottes Segen.
Quellenvermerk
George Buchanan: De jure regni apud Scotos. Dialogus
(Über das Recht der Herrschaft unter den Schotten).
Edinburgh: Thomas Vautrollier, 1579.
Kritische Referenzausgabe:
Roger A. Mason (Hrsg.): George Buchanan – Political Thought in Early Modern Britain and Europe. Aldershot: Ashgate, 1994.
Digitale Volltexte verfügbar u. a. in:
Early English Books Online (EEBO) und Internet Archive.
Deutsche Übersetzung:
Andreas Schnebel (Hrsg.): Vom Recht der Herrschaft unter den Schotten – Eine reformatorische Lehre von Recht, Macht und Widerstand nach George Buchanan (1579).
Unveränderte, textnahe Übersetzung des vollständigen Dialogs (De jure regni apud Scotos) auf Grundlage der Erstausgabe Edinburgh 1579 und der kritischen Edition Mason 1994.
© 2025 Andreas Schnebel.
Veröffentlichung mit Genehmigung zur nichtkommerziellen Nutzung für Forschungs-, Bildungs- und kirchengeschichtliche Zwecke.