Reformierter Anarchismus – Eine Grundsatzerklärung

Was ist reformierter Anarchismus?

  1. Was ist Kultur?
    1.a. Die menschliche Produktion
    1.b. Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen Gruppen.
    1.c. Religion als Grundlage
    1.d. Strukturelle Normen, Richtungskonformität
    1.e. Sündenfall, Erlösung und allgemeine Gnade
  2. Was ist Gesellschaft?
    2.a. Weder individualistisch noch kollektivistisch
    2.b. Souveränität der gesellschaftlichen Bereiche
    2.c. Polyzentrische und sich entwickelnde Gesellschaftsordnung
    2.d. Wirtschaft
  3. Was ist eine zivile Autorität?
    3.a. Zivilrecht unterschieden von Moral
    3.b. Selbsteigentum und Eigentumsrecht
    3.c. Zivilrechtliche Norm der Nicht-Aggression
    3.d. Gottes Ordination der zivilen Herrschaft
    3.e.Besteuerung
    3.f. Krieg
    3.g. Unsere Bekenntnisse
    3.h. Das Monopol des Staates

Diese Erklärung wurde von Gregory Baus und Kerry Baldwin in Zusammenarbeit mit Mitgliedern der Diskussionsgruppen Reformierter Libertarismus und Reformierter Anarchismus im Jahr 2020 verfasst.

Audio version: http://youtube.com/watch?v=Ubp6DtiLLIE

Was ist reformierter Anarchismus?

Reformierter Anarchismus ist eine Sichtweise der Politik bzw. der zivilen Verwaltung, die von reformierter Theologie (einer Sichtweise der biblischen Lehre, die in den historischen reformierten Bekenntnissen zum Ausdruck kommt) und einer reformierten Philosophie (einer Sichtweise der geschaffenen Wirklichkeit, die sich an der biblischen Lehre orientiert) geprägt ist. Auf der Grundlage einer reformierten Theologie und Philosophie fassen wir im Folgenden eine reformierte Sicht von 1.) Kultur und 2.) Gesellschaft als dem breiteren Kontext zusammen, in den unsere Sicht der Politik eingebettet ist, gefolgt von 3.) zivilem Regieren und [demnächst] 4.) einigen Implikationen für das Handeln.

1. Was ist Kultur?

1.a. Menschliche Produktion

Kultur ist die menschliche Aktivität, die darin besteht, die Erde zu beherrschen und zu bebauen, die Welt zu füllen, zu unterwerfen und zu erhalten. Kultur ist zugleich das Ergebnis dieser Arbeit – das sekundäre Produkt menschlicher Tätigkeit in der natürlichen Umwelt.
Als Ebenbild Gottes (1. Mose 1,26-28; 2,15; 9,1-7) und zur Ausübung von Herrschaft geschaffen, kann der Mensch – auch nach dem Sündenfall – nicht anders, als zielgerichtet zu handeln, zu arbeiten und die Schöpfung, einschließlich seiner selbst, zu kultivieren.

Siehe: Henry R. Van Til, The Calvinistic Concept of Culture (1959; rep., 2001), p.xvii, 25ff.

1.b. Wechselbeziehungen zwischen unterschiedlichen Schichten.

Menschliche Kultivierungsarbeit und deren Ergebnisse lassen sich in verschiedene Schichten gliedern.

  • An der Oberfläche zeigen Menschen beobachtbare Verhaltensweisen, von denen einige als Bräuche bezeichnet werden können, und sie produzieren materielle Artefakte aller Art.
  • Auf einer tieferen Schicht bilden sich Gemeinschaften und Institutionen für zahlreiche Zwecke. Diese spiegeln oft, auf einer noch tieferen Ebene, die Werte wider, nach denen Menschen entscheiden, welche Tätigkeiten sie ausüben und wie sie diese gestalten.
  • Auf der grundlegendsten Schicht haben Menschen etwas wie Weltanschauungen: ein Grundverständnis dessen, was die Welt ist und welches Ziel sie verfolgt.

Diese Kulturschichten stehen in einem Wechselspiel der gegenseitigen Beeinflussung. Technologien, Praktiken und Institutionen wirken sich auf Werte und Überzeugungen aus – und umgekehrt.

Siehe: G. Linwood Barney, “The Supracultural and the Cultural: Implications for Frontier Missions,” in The Gospel and Frontier Peoples: a report of a consultation, December 1972 , ed. Robert Pierce Beaver (1973), p.48-55.
Teilweise hier zitiert: https://books.google.com/books?id=raf6uV74x4AC&pg=PA102

1.c. Religion als Basis.

Alle Aktivitäten innerhalb dieser Schichten sind kulturelle Aktivitäten. Christen wie Nichtchristen nehmen an all diesen Aktivitäten teil. Durch sie gestalten wir sowohl die Geschichte unseres individuellen Lebens als auch die Geschichte von Zivilisationen.
Als Ausdruck unseres Wesens als Ebenbild Gottes ist alles menschliche Handeln grundlegend religiös bestimmt – entweder ausgerichtet auf den wahren Gott, der sich im Christus der Heiligen Schrift offenbart hat, oder weg von ihm, hin zu einem Götzen. (Römer 1,18-25; Matthäus 15,18-19)

1.d. Strukturelle Normen, Richtungskonformität

Das Gottesbild im Menschen hat zwei Dimensionen: eine strukturelle (formale) und eine richtungsweisende (normative).

  • Mit der strukturellen Dimension sind Gottes Schöpfungsgesetze gemeint, die für die geschaffenen Dinge gelten und sie zu dem machen, was sie sind. (Damit ist nicht die „Struktur der Dinge“ gemeint, sondern die Schöpfungsordnung selbst, die dem Handeln und der Kultur zugrunde liegt.) So wie es verschiedene Arten von Geschöpfen gibt, gibt es auch verschiedene Arten von Schöpfungsgesetzen: Manche sind zwingend (z. B. physikalische Gesetze wie die Schwerkraft), andere sind normativ, d. h. sie fordern Gehorsam, können aber übertreten werden (z. B. das logische Gesetz des Nicht-Widerspruchs).
  • Mit der richtungsweisenden Dimension meinen wir die Abweichung von oder die Übereinstimmung mit diesen gottgegebenen Normen.

Siehe: Albert M. Wolters, Creation Regained (1985; rep., 2005), p.59, 88, 97.
Siehe auch: Anthony A. Hoekema, Created In God’s Image (1986), p.68-73

1.e. Sündenfall, Erlösung und gemeinsame Gnade

Nach dem Sündenfall behält der Mensch die strukturelle Dimension bei, da er weiterhin Träger des Ebenbildes bleibt – durch Gottes allgemeine Gnade als jemand, der Autorität ausübt und zum Fällen von Urteilen berufen ist.
Doch verliert der nicht wiedergeborene Mensch die positive richtungsweisende Dimension: Er urteilt nicht mehr recht.
In der Wiedergeburt wird das Bild Gottes in Christus erneuert – in wahrer Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erkenntnis. Christen sind zentral auf Gott ausgerichtet, können aber dennoch sündigen, von Sünde betroffen sein und von Gottes Normen, auch im kulturellen Handeln, abweichen. Dennoch ermöglicht die Erneuerung in Christus, in einem gewissen Maß die gottgegebenen kulturellen Normen zu erkennen und positiv nach ihnen zu leben.
Unbekehrte dagegen leben in einer Grundausrichtung der Gottesferne, können jedoch durch allgemeine Gnade in gewissem Maß äußerlich in Übereinstimmung mit einzelnen Normen handeln.

Siehe: Meredith G. Kline, Images of the Spirit (1980; rep., 1999).
The first chapter is based on this article: https://meredithkline.com/klines-works/articles-and-essays/creation-in-the-image-of-the-glory-spirit/
Siehe auch: WCF 16.7 on good works by the unregenerate.

2. Was ist Gesellschaft?

2.a. Weder individualistisch, noch kollektivistisch

Gesellschaft ist kein einheitliches Ganzes. Vielmehr umfasst sie zahlreiche individuelle und gemeinschaftliche Beziehungen in unterschiedlichen Formen.
Es gibt inter-individuelle Beziehungen, kommunale Beziehungen und inter-kommunale Beziehungen.
Da nur Individuen handeln, kann weder die Gesellschaft als Ganze noch eine bestimmte gemeinschaftliche Beziehung auf reine inter-individuelle Beziehungen reduziert werden. Und zugleich ist ein Individuum niemals ausschließlich ein Teil einer bestimmten Gemeinschaft, der es angehört.

Gemeinschaftliche Beziehungen unterscheiden sich von inter-individuellen dadurch, dass sie vergleichsweise dauerhafter sind und Autoritätsvereinbarungen einschließen.
Weder Individuen noch Gemeinschaften sind wichtiger als die jeweils anderen oder aus den jeweils anderen abgeleitet. Sowohl Individuen als auch die unterschiedlichen Gemeinschaften sind eigenständige Ganzheiten, die letztlich von Gott in der Schöpfung geordnet und normiert sind.
In diesem Sinn lehnen wir sowohl eine individualistische als auch eine kollektivistische Sichtweise der Gesellschaft ab.

Siehe: Roy Clouser, The Myth of Religious Neutrality (1991; rev., 2005), chapter 12.
Siehe auch: Herman Dooyeweerd, A Christian Theory of Social Institutions (1947)
https://tinyurl.com/DooyTheorySocInst

2.b. Souveränität der gesellschaftlichen Bereiche

Es gibt unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche oder Arten von Gemeinschaften.
Jede dieser Gemeinschaftsarten unterscheidet sich durch ihre eigene Natur, die in ihrer Organisation und ihrem Zweck erkennbar ist und durch eigene, von Gott gegebene Normen bestimmt wird.

Beispiele solcher Gemeinschaften sind: familiäre, kirchliche/religiöse, politische/zivile, kommerzielle, soziale, karitative, medizinische, erzieherische und ästhetisch-künstlerische Gemeinschaften.

Keine einzelne Gemeinschaftsart umfasst oder regelt alle anderen angemessen. Ebenso wenig kann eine bestimmte Gemeinschaft innerhalb einer Art alle anderen dieser Art umfassend regeln. Jede Art von Gemeinschaft hat ihre eigene besondere Funktion sowie ihre begrenzte, von Gott direkt verordnete Autorität und Kompetenz, die nicht von einer anderen Art vermittelt wird.

Dieses Prinzip nennen wir „Sphärensouveränität“.
Wir lehnen dagegen die kollektivistische Sichtweise der sogenannten „Subsidiarität“ ab, die zwar vorgibt, von unten nach oben zu ordnen, indem sie die Zuständigkeit der untersten Ebene betont, aber letztlich alle gesellschaftlichen Gemeinschaften (als sogenannte „vermittelnde Institutionen“) unter einen allumfassenden Staat subsumiert.

Siehe: Gregory Baus, Dooyeweerd’s Societal Sphere Sovereignty (2006, rev. 2017)
https://www.academia.edu/32356017/Dooyeweerds_Societal_Sphere_Sovereignty_2017_revision_
Siehe auch: Kerry Baldwin, Economics, Hierarchy, and the Question of the State’s Inevitability (2018)
https://libertarianchristians.com/2018/04/11/economics-hierarchy-states-inevitability/
and Inconceivable! The Plausibility of a Stateless Society (2018)
https://libertarianchristians.com/2018/05/07/plausibility-of-a-stateless-society/

2.c. Polyzentrische und sich entwickelnde gesellschaftliche Ordnung

Gesellschaft ist normativ polyzentrisch geordnet und regiert. Das bedeutet: Sie besteht aus einer Vielzahl von Beziehungen und besonderen Gemeinschaften verschiedener Art.

Die politische Ordnung oder die Institutionen der Zivilverwaltung haben nicht die Aufgabe, die Gesellschaft umfassend zu regeln. Ihre von Gott gegebene Aufgabe beschränkt sich ausschließlich auf die Verwaltung der zivilen Rechtspflege.

Der breitere polyzentrische Gesellschaftskomplex koordiniert sich selbst – durch die Selbstverwaltung jeder einzelnen Beziehung und jeder einzelnen Gemeinschaft ihrer jeweiligen Art.

Nach Gottes Schöpfungsordnung entsteht eine dynamische gesellschaftliche Harmonisierung kumulativ durch die verschiedenen Arten normativen menschlichen Handelns – jedoch unabhängig von der gezielten Absicht oder dem Versuch einer umfassenden Zwangsregelung durch ein Individuum oder eine Gemeinschaft.

Jeder Versuch, die Gesellschaft als Ganze durch Zwang zu regulieren, verletzt das Wesen der Gesellschaft selbst, ihre unterschiedlichen Normen, Beziehungen und Gemeinschaftsarten mit ihrer jeweils differenzierten und begrenzten Autorität, die von Gott eingesetzt wurde. Solche Versuche führen zwangsläufig zu Verzerrung und Unordnung.

Siehe: Norman Barry, The Tradition of Spontaneous Order (1982)
https://oll.libertyfund.org/titles/liggio-literature-of-liberty-summer-1982-vol-5-no-2/
Siehe auch: https://fee.org/learning-center/concepts/spontaneous-order/

2.d. Wirtschaft

Kommerzielle bzw. wirtschaftliche Beziehungen zwischen Individuen und Gemeinschaften sind von Gott so geordnet, dass sie nach dem Prinzip des „freien Marktes“ funktionieren.
Das heißt: gemäß den von Gott gegebenen Gesetzmäßigkeiten für den Erwerb und die Nutzung knapper Ressourcen sowie den freiwilligen Austausch.

Jede staatliche Zwangsbeschränkung oder -regelung, die über die Verwaltung der eigentlichen zivilen Rechtspflege hinausgeht, sei es beim Erwerb, Eigentum oder der Nutzung von Ressourcen – ganz gleich in welcher Form (Geld, Kredite, Investitionen, Produktion, Güter, Vertrieb, Konsum, Kauf, Verkauf, Vermietung, Spekulation, Sparen, Arbeit, Beschäftigung, Dienstleistungen, Löhne, Preise usw.) – ist ein Verstoß gegen die von Gott gegebenen ökonomischen, moralischen und zivilrechtlichen Normen.

Solche Eingriffe wirken letztlich zerstörerisch auf das ordnungsgemäße Funktionieren der Gesellschaft und schaden ihrem Wohlergehen.

Siehe: Shawn Ritenour, Foundations of Economics: A Christian View (2010)
Siehe auch: Per Bylund, The Seen, the Unseen, and the Unrealized: How Regulations Affect Our Everyday Lives (2016)

3. Was ist eine zivile Autorität?

3.a. Zivilrecht im Unterschied zur Moral

Zivile Autorität besteht in der Verwaltung der zivilen Rechtspflege. Das heißt: der Entscheidung von Konflikten über „zivile“ bzw. politische Rechte gemäß den gottgegebenen Normen der zivilen Gerechtigkeit – einschließlich der dazugehörigen Regeln und deren Durchsetzung.

Zivile (politische) Gerechtigkeit und zivile Rechte betreffen legitime, mit Zwang durchsetzbare normative Ansprüche auf die eigene Person oder das eigene Eigentum. In diesem Sinn unterscheidet sich die zivile Gerechtigkeit (hinsichtlich Rechten und Pflichten) von dem, was anderen in nicht-zivilen/nicht-politischen Bereichen zusteht.

Beispiel: Moralische Gerechtigkeit betrifft die Liebe. Verstöße gegen das Zivilrecht sind stets unmoralisch, aber nicht jeder Verstoß gegen Moral ist ein Zivilverbrechen. So sind Lügen oder Begehren unmoralisch, stellen aber nicht notwendigerweise eine Verletzung des Zivilrechts dar.

Siehe: Lysander Spooner, Vices Are Not Crimes (1875)
https://mises.org/library/vices-are-not-crimes

3.b. Selbsteigentum und Eigentumsrecht

Alle Menschen sind von Gott geschaffen – daher ist er der höchste Eigentümer jedes Einzelnen. Gott in Christus ist Schöpfer und Eigentümer aller Dinge (Kolosser 1,15–17).

Weil Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, hat er zugleich jedem Menschen Haushalterschaft über sich selbst und über sein Eigentum verliehen.
Bezogen auf die eigene Person nennen wir diese Haushalterschaft Selbsteigentum. Dieses Selbsteigentum erstreckt sich auf den Erwerb von Eigentum an knappen Ressourcen.

Eigentum ist das Recht auf ausschließliche Kontrolle, Nutzung und Verfügung über eine Ressource. Dieses nennen wir Eigentumsrechte – sowohl an der eigenen Person als auch an den eigenen Gütern (vgl. 2. Mose 21,16; Matthäus 20,15; Apostelgeschichte 5,4). Diese Eigentumsrechte definieren die bürgerlichen/politischen Rechte.

Siehe: Stephan Kinsella, What Libertarianism Is (2009)
https://mises.org/library/what-libertarianism
Siehe auch: Stephan Kinsella, How We Come To Own Ourselves (2006)
https://mises.org/library/how-we-come-own-ourselves

3.c. Zivilrechtliche Norm des Nichtangriffs

Mit den Eigentumsrechten korrespondiert notwendigerweise die Verpflichtung, niemals Zwang gegen die Person oder das Eigentum eines anderen auszuüben (oder den ersten Gebrauch davon zu machen). Wir bezeichnen eine solche Ausübung von Zwang als “Aggression”. Die einzige legitime Anwendung von Zwang gegen die Person oder das Eigentum eines anderen ist eine verhältnismäßige Reaktion auf eine vorherige Aggression. Legitimer Zwang ist ausschließlich reaktiv. Aggression gegen die Person oder das Eigentum eines anderen (sei es Mord, Vergewaltigung, Körperverletzung, Diebstahl, Entführung, Betrug oder die glaubhafte Androhung dieser Dinge) ist niemals legitim. Diese Norm bezüglich der legitimen Anwendung von reaktivem Zwang und der Unzulässigkeit von initiativem Zwang oder Aggression wird oft als “Nichtangriffsprinzip” bezeichnet. Es ist eine gottgegebene moralische Norm, die im biblischen Verbot von Mord und Diebstahl zum Ausdruck kommt (vgl. Exodus 20Deuteronomium 5). Es ist auch eine gottgegebene Norm für die Ziviljustiz, die in der biblischen Bekräftigung des Gesetzes der angemessenen Vergeltung (lex talionis) zum Ausdruck kommt, da Selbsteigentum/Eigentumsrechte das abgrenzen, was ordnungsgemäß mit Zwang durchgesetzt werden kann (vgl. Genesis 9,5-6Sprüche 3,301 Petrus 4,15).

3.d. Gottes Ordination der zivilen Autorität

Römer 13,1–7 lehrt, dass Gott die Verwaltung der zivilen Rechtspflege ordiniert. Dazu gehört die legitime Anwendung von Zwang gegen Aggressoren – also gegen jene, die sich an Person oder Eigentum anderer vergreifen – sowie die Erzwingung der Wiedergutmachung zugunsten der Opfer.

Nach göttlicher Ordination ist die zivile Verwaltung streng auf diese Aufgabe beschränkt. Die „Obrigkeiten“, denen sich alle Menschen unterordnen sollen (vgl. 1. Petrus 2,13–14; Titus 3,1), sind genau diejenigen, die tatsächliche zivile Rechtspflege ausüben.

Jeder Anspruch auf Macht oder die Ausübung von Zwang unter irgendeinem Vorwand, der über diese Aufgabe hinausgeht oder ihr widerspricht, ist nach der Schrift nicht von Gott verordnet – und kann rechtmäßig verweigert werden.

Nicht nur Befehle zur Sünde müssen verweigert werden, sondern auch jede angestrebte zivile Regelung, die über den von Gott bestimmten Bereich hinausgeht, darf ignoriert werden. Die Ungerechten sind keine legitimen Autoritäten, denen Gläubige ihre zivilen Streitigkeiten anvertrauen sollten (1. Korinther 6,1–8).

Siehe: Gregory Baus, Romans 13 and Stateless Civil Governance: A Reformed View (2019)
https://libertarianchristians.com/2019/05/31/romans-13-and-stateless-civil-governance-a-reformed-view/
Und https://mereliberty.com/romans13/

3.e. Besteuerung

Die Heilige Schrift lehrt nicht, dass Menschen Steuern im eigentlichen Sinn schulden. Vielmehr fordert sie, dass wir „geben, was geschuldet ist“ (Römer 13,7) – also das, was rechtmäßig jemand anderem gehört.

In Matthäus 22,15–22 (vgl. Markus 12,13–17; Lukas 20,20–26) bekräftigt Christus, dass nur das, was dem Cäsar gehört, dem Cäsar gegeben werden soll.
Jesus duldet damit weder die Besteuerung als Prinzip, noch verpflichtet er jemanden, sich staatlichem Diebstahl zu unterwerfen.

Siehe: Jeff Barr, Render Unto Caesar (2010) https://mises.org/wire/render-unto-caesar-most-misunderstood-new-testament-passage
Siehe auch: Rocco Stanzione, Render Unto Caesar (2016)
https://truthandliberty.me/2019/08/22/render-unto-caesar/

3.f. Krieg

Ein Individuum oder eine Gemeinschaft darf sich und das Eigentum anderer rechtmäßig verteidigen – auch im Auftrag anderer – durch verhältnismäßigen reaktiven Zwang gegen Angreifer. Dies kann auch tödliche Gewalt und die Erzwingung von Wiedergutmachung einschließen.

Das, was als „Krieg“ bezeichnet wird und von Staaten geführt wird, ist jedoch niemals moralisch gerechtfertigt. Wir verurteilen und lehnen Krieg entschieden als großes Übel ab.

Christen dürfen sich nicht an staatlicher Kriegführung beteiligen, wenn diese nicht defensiv ist, unverhältnismäßig Gewalt anwendet oder wissentlich Unschuldige verletzt bzw. tötet. Ebenso wenig sollen Christen in Unternehmen arbeiten, die die Kriegführung solcher Militärs unterstützen (Römer 12,18; Sprüche 1,10–16).

Siehe: Murray Rothbard, War, Peace, and the State (1963)
https://mises.org/library/war-peace-and-state
Siehe auch: Wendy McElroy, Libertarian Just War Theory (2010)
http://www.wendymcelroy.com/articles/justwar.html
And The Libertarian Antithesis: War (2016)

3.g. Unsere Bekenntnisse

Die historischen reformierten Bekenntnisse wenden sich nicht gegen Widerstand gegenüber Autoritäten, die das Zivilrecht verletzen.

  • Westminster-Glaubensbekenntnis 20.4: Wer sich „jeder rechtmäßigen Macht oder ihrer rechtmäßigen Ausübung“ widersetzt, widersteht Gottes Ordnung. Tyrannei ist unrechtmäßig – daher darf man sich ihr widersetzen.
  • Londoner Baptistenbekenntnis 24.3: Unterordnung gilt nur bei „rechtmäßigen Anordnungen“.
  • Zweites Helvetisches Bekenntnis 30: Gehorsam nur gegenüber „gerechten und angemessenen Gesetzen“.
  • Niederländisches Glaubensbekenntnis 36: Gehorsam nur in Dingen, „die nicht im Widerspruch zu Gottes Wort stehen“, verbunden mit einer Verurteilung aller, die „die Gerechtigkeit untergraben“.

3.h. Das Monopol des Staates

Ein Staat beansprucht das Monopol auf Zwang und die höchste Entscheidungsgewalt (das „letzte Wort“) innerhalb eines Territoriums. Dieses Monopol bedeutet, dass der Staat ausschließliche Kontrolle über Personen und Eigentum beansprucht, die ihm nicht gehören.

Darum sind Staaten notwendig Aggressoren – von Natur aus ungerecht und normwidrig. Jeder Staat ist eine illegitime Usurpation der zivilen Gewalt, eine Tyrannei. Staaten sind weder notwendig noch legitim für die zivile Rechtspflege.

Legitime zivile Rechtspflege ist nicht monopolistisch, sondern ausschließlich auf die Verwaltung zivilrechtlicher Streitigkeiten beschränkt: die Durchsetzung von Vergeltung gegenüber Aggressoren und die Erzwingung von Wiedergutmachung zugunsten ihrer Opfer.

Das staatliche Monopol ist im Prinzip totalitär und neigt in der Praxis immer stärker zum Totalitarismus.

Siehe: Murray Rothbard, Anatomy of the state (1974)
https://mises.org/library/anatomy-state
Siehe auch: Gerard Casey, Libertarian Anarchy (2012)

Teilweise hier zusammengefasst: http://tinyurl.com/CaseForAnarchy

Veröffentlicht im Original durch Gregory Baus
In deutscher Sprache veröffentlich mit
freundlicher Genehmigung von Gregory Baus