Römer 13: Autorität – Legitimität und Auftrag

Einleitung

Es gibt Bibelstellen, die wie ein Brennglas wirken. Römer 13 gehört dazu. Kaum ein Text wurde häufiger missbraucht – von Königen, die ihren Thron „von Gott“ abgesichert wissen wollten, über Diktaturen, bis hin zu Kirchen, die Gläubige noch heute auf absoluten Gehorsam einschwören wollen.¹

Bis heute liest sich der Satz „Jedermann sei den Obrigkeiten untertan“ (Röm 13,1) wie eine Zumutung – gerade im Angesicht des 20. Jahrhunderts mit seinen totalitären Systemen. Viele fragen: Will Paulus wirklich, dass Christen jede Macht, auch die brutalste, stützen?²

Die Antwort ist klar: Nein. Paulus stellt keinen Blankoscheck für Macht an sich aus. Römer 13 ist vielmehr ein Prüfstein. Er legt fest, was Autorität ist – und was sie niemals sein darf. Autorität ist Teil der Bundesordnung: Sie existiert, um das Recht zu wahren, nicht um es zu setzen. Sie ist Dienst am Guten, nicht Herrschaft über Menschen. Unterordnung heißt Einordnung in Gottes Ordnung, nicht blinder Gehorsam. Gewalt ist niemals initiativ, sondern stets reaktiv – Antwort auf Unrecht. Und als Grenze und Vollendung steht die Liebe: Sie ist Maßstab jeder Ordnung und schützt vor Herrschaftslogik.³

Der Zusammenhang des Briefes

Römer 13 entfaltet im Gesamtkontext der Schrift die helle Seite der Bundesordnung; Offenbarung 13 zeigt ihre Verdunkelung. Beide Kapitel gehören zusammen: Paulus beschreibt die Obrigkeit in ihrer Bestimmung als Dienerin Gottes, Johannes zeigt dieselbe, sobald sie den Bund bricht und göttliche Autorität usurpiert. Damit wird klar: Legitimität ist kein Status, sondern Treue im Bund.⁴

Römer 13 lässt sich nicht isoliert lesen. Paulus schreibt in einem Spannungsbogen, der sich über den gesamten Brief erstreckt. Der Ethikteil von Römer 12–14 steht auf dem Fundament von Römer 1–11: Aus Rechtfertigung und neuer Lebensordnung „im Geist“ (Röm 5–8) erwächst die vernünftige Anbetung (Röm 12,1–2). Was Paulus in 1–11 begründet, verkörpert sich in 12–14 praktisch: Selbstbegrenzung (12), dienende Obrigkeiten (13), geschütztes Gewissen (14).⁵

Römer 9–11 öffnet den Horizont: Gott bleibt Herr über Völker und Geschichte. Selbst wenn Menschen wie der Pharao ihre Macht missbrauchen, sind sie im Letzten doch nur Werkzeuge, die Gottes Plan nicht zu Fall bringen können. Aus dieser Doxologie (Röm 11,33–36) leitet Paulus in den praktischen Teil über: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern erneuert euer Denken“ (Röm 12,2).⁶

Römer 12 setzt das erste Signal: keine private Vergeltung. „Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes“ (Röm 12,19). Christen sollen nicht selbst zur Waffe greifen, um Unrecht zu vergelten. Das Böse wird überwunden, indem man das Gute tut.⁷

Römer 13 nimmt diesen Faden auf und sagt: Rechtspflege ist nicht Sache des Einzelnen, sondern einer geordneten Autorität. Darum ist die Obrigkeit „Dienerin Gottes“ – nicht, um zu herrschen, sondern um Unrecht zu ahnden. Sie ist das öffentliche Gegenstück zur privaten Selbstbeschränkung.⁸

Römer 14 rundet den Bogen: Niemand soll über das Gewissen des anderen herrschen. Paulus erinnert daran, dass das Gewissen allein Gott gehört. Damit ist klar: Keine Obrigkeit darf das Gewissen usurpieren. Der Dreischritt steht: privat keine Rache, öffentlich geordnete Rechtspflege, persönlich Schutz des Gewissens.⁹

Autorität – Sprachliche und historische Breite des Begriffs

Wenn Paulus von „Obrigkeit“ spricht, benutzt er das Wort exousíai – im Plural. Schon das ist ein Schlüssel: Er denkt nicht an eine einzige Zentralmacht, sondern an ein Geflecht verschiedener Autoritäten – Richter, Stadträte, Magistrate, Familienväter.¹⁰

Das Wort exousia hat ein weites Spektrum: Freiheit, Befugnis, Vollmacht, Autorität. Matthäus berichtet, dass Jesus „mit Vollmacht“ (exousia) lehrte (Mt 7,28 f.) – gemeint ist nicht Amtsgewalt, sondern göttlich verliehene Autorität. Paulus selbst spricht von seiner exousia „zum Aufbauen, nicht zum Zerstören“ (2 Kor 13,10). Schon sprachlich zeigt sich: Exousia bedeutet nicht automatisch Zwangsgewalt, sondern delegierte Vollmacht zu einem bestimmten Zweck.¹¹

Historischer Kontext

Paulus schrieb nicht in die Welt eines modernen Territorialstaates mit Gewaltmonopol, sondern in die polyzentrische Ordnung des Römischen Reiches. Rom war als „ausgedehnte Stadt“ organisiert und in mehrere Ebenen gegliedert: Stadt, italische Gebiete, Provinzen. Herrschaft war stets an konkrete lokale Strukturen gebunden – Statthalter, Gouverneure, Magistrate und Bürgerämter.¹²

Im Kern blieb das Gemeinwesen kleinräumig: Bürger wählten ihre Magistrate, tagten in Räten, regelten Rechtspflege und Ordnung weitgehend selbst. Eine staatliche Polizei gab es nicht; vieles entstand aus Selbstverwaltung und dem Ausgleich zwischen Gruppen.¹³

Besonders sichtbar wurde dies im Hausstand. Der pater familias hatte weite Autonomie: Ehe, Kinder, Vermögen und kultische Verantwortung lagen in seiner Hand – aber begrenzt durch Sitte und religiöse Norm. Erst bei schweren Delikten griff die öffentliche Rechtspflege ein.¹⁴

Vor diesem Hintergrund wird klar: Wenn Paulus von „Autoritäten“ spricht, meint er eine Vielzahl begrenzter Ämter – nicht eine monopolistische Gesamtmacht. Diese Ordnung war nicht ideal, aber konkret begrenzt und auf bestimmte Aufgaben fokussiert.¹⁵

Auch das Thema Steuern gehört hierher. Was wir heute „Steuern“ nennen, war damals Tribut (phóros) und Zoll (télos), meist moderat und selektiv. Steuerfragen waren politisch und religiös brisant – bis hin zu Aufständen. Judas der Galiläer nannte den Tribut eine „Einführung in die Sklaverei“. ¹⁶

Jesus entlarvte diese Machtlogik, als er den Denar mit dem Kaiserbild zeigen ließ: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ (Mk 12,17). Er entgöttlicht die politische Sphäre. Der Kaiser erhält nur, was sein Bild trägt – nicht den Menschen, der das Bild Gottes trägt.¹⁷

Damit lehnt Christus den sakralen Anspruch politischer Macht ab. Paulus folgt dieser Linie: Der phóros ist keine kultische Pflicht, sondern Vergütung für Dienste – Rechtspflege, Schutz, Ordnung. Nur wo diese Dienste real und gerecht sind, besteht Legitimität. Wird die Macht zum Selbstzweck, verliert sie ihren Anspruch.¹⁸

Aus Sprache und Geschichte ergibt sich eine klare Linie: Römer 13 legitimiert keine monopolistische Staatsgewalt, sondern setzt eine dezentral organisierte, begrenzte Ausübung von Rechtspflege voraus – und bleibt damit zeitlos gültig.

Unterordnung – statt blinder Gehorsam

Dass Paulus hypotássesthai und nicht hypakoúein verwendet, ist kein Zufall. Das erste Wort bezeichnet nicht blindes Gehorchen, sondern das Prinzip der Einordnung in Gottes gute Ordnung. Es beschreibt eine Haltung, die Ordnungen anerkennt, weil sie dem Leben Schutz geben – so wie Kinder in der Fürsorge der Eltern geborgen sind oder Gemeinden Leitung durch Älteste brauchen.¹⁹

Unterordnung bedeutet Anerkennung göttlicher Ordnung, aber keinen unbedingten Gehorsam gegenüber jedem Befehl. Schon die Apostel sagten: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29).²⁰ Das ist kein Sonderfall, sondern ein Grundprinzip: Gott hat Vorrang. Calvin erinnerte daran, dass jedes Gebot zeigt, was Gott gefällt und missfällt – und dass Unterordnung nur gilt, wo sie diesem Willen entspricht.²¹

Die Schrift belegt dies vielfach: Daniel blieb Gott treu und verweigerte den Götzendienst vor Nebukadnezar; die Hebammen in Ägypten gehorchten dem Gebot des Lebens statt dem Mordbefehl des Pharao; die Apostel predigten Christus trotz Verbots.²² Alle handeln nach demselben Muster: Treue zu Gottes Ordnung – und gerade darin Widerstand gegen falsche Befehle.²³

Dienst – keine Herrschaft

Dreimal nennt Paulus die Obrigkeit „Dienerin Gottes“ – Ausdruck ihrer Haushalterschaft unter dem göttlichen Auftrag. Er benutzt dabei kultische Begriffe: diákonos und leitourgós. Absichtlich – um klarzumachen: Autorität ist kein sakrales Wesen, sondern eine beauftragte Funktion.²⁴

Wie ein Diakon in der Gemeinde nicht sich selbst dient, sondern den Auftrag erfüllt, so gilt auch hier: Autorität ist nicht legitim, weil sie Macht hat oder „immer da war“, sondern nur, wenn sie dem Guten dient. Leitourgós meint eigentlich den Dienst am Altar; Paulus überträgt dieses Bild, um zu zeigen: Autorität ist wie ein kultischer Dienst – nicht an Gott selbst, sondern im Auftrag Gottes am Nächsten. Macht, die sich absolut setzt, verfällt dem Götzendienst.²⁵

Anerkennung – der Prüfpfad jeder Autorität

Paulus baut seine Argumentation logisch auf: Auftrag – Unterordnung – Anerkennung.²⁶

  • Darum ist Unterordnung nötig – weil die Obrigkeit Gottes Dienerin ist.
  • Deshalb ist sie legitim – wenn sie tatsächlich für Recht sorgt.
  • Dazu ist die Anerkennung bestimmt – damit dieser Auftrag erfüllt werden kann.²⁷

Fällt der Auftrag weg, bricht die Kette zusammen. Eine Autorität, die ihre Aufgabe nicht erfüllt oder das Gute verfolgt, ist nicht mehr „Dienerin Gottes“. Anerkennung ist kein Automatismus, sondern an Treue zum Auftrag gebunden.²⁸

Paulus zieht die Linie weiter: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses; so ist nun die Liebe die Erfüllung des Gesetzes“ (Röm 13,10).²⁹ Liebe ist Vollendung und Maßstab jeder Ordnung. Nur sie bewahrt die Ordnung vor Herrschaftslogik.³⁰

Schuld – entsteht wo Dienst geschieht

„Gebt allen, was ihr schuldig seid“ (Röm 13,7). Schuld entsteht nicht durch Amt, sondern durch Dienst.³¹ Phóros meint Tribut – Abgabe besiegter Völker; télos Zoll oder Gebühr. Paulus knüpft Pflicht an opheílete: geben, was geschuldet ist – angemessen und zweckgebunden.³²

Der Grund liegt in der Erfüllung des Dienstes – Rechtspflege, Schutz, Ordnung.³³ Er knüpft damit an die Tora an: „Den Arbeiter sollst du nicht um seinen Lohn bringen“ (Dtn 24,15). Leistung und Vergütung gehören zusammen.³⁴Übertragen auf die Obrigkeit heißt das

  • Respekt, Unterstützung und auch materielle Vergütung sind geschuldet, wenn die Obrigkeit Recht schützt und ihrem Auftrag dient.
  • Keine Schuld entsteht, wenn sie diese Aufgabe verfehlt oder gar das Gute verfolgt und das Böse schützt.³⁵

Dasselbe Prinzip gilt in 1 Tim 5,17 f.: Älteste sind „doppelter Ehre wert, wenn sie gut vorstehen; denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert“. Vergütung und Anerkennung sind an Treue im Dienst gebunden – nie an bloßes Amt.³⁶

Jesu Lehre zu Steuer/Zoll: Jesus nennt die Königskinder frei (Mt 17,25–26). Er bezahlt die Tempelsteuer aus Rücksicht, nicht aus rechtlicher Pflicht („damit wir ihnen kein Anstoß werden“, Mt 17,27). Ebenso die Zins-Worte (Mt 25,27; Lk 19,23): ökonomische Realität ohne sakralen Bann. Und im AT wird Tribut (1Sam 8,10–18) als Fluchfolge skizziert, nicht als Ideal. Daraus folgt: Christen sind frei; Zahlung ist eine kluge Rücksicht und schuldhaft nur dort, wo legitimer Dienst geschieht.

Vertikal gilt: Vor Gott schulden wir alles – Gewissen und Anbetung gehören ihm allein. Horizontal gilt: Menschen schulden wir nur, was rechtlich geschuldet ist – Schutz von Leben und Eigentum, erfüllte Vereinbarungen, gerechte Ordnung. Darum kann auch keine Obrigkeit eine Blankoforderung erheben. Anerkennung ist kein Automatismus, sondern gebunden an den Auftrag. Ein Staat, der das Gute verfolgt und das Böse schützt, unterminiert seinen Anspruch – und verliert die Grundlage für Schuld und Vergütung.

Manche Ausleger sehen hier eine unbedingte Pflicht zur Steuerzahlung. Doch diese Lesart übersieht, dass die Schrift selbst Tribut als Fluch bezeichnet (1Sam 8,10–18) und Christus die Kinder des Königs für frei erklärt (Mt 17,25–26). Auch das Gebot „Du sollst nicht stehlen“ gilt für Fürsten wie für Mehrheiten. Paulus’ Formulierung „Gebt allen, was ihr schuldig seid“ (13,7) ist daher im Schuldprinzip zu lesen: Wo legitimer Dienst geschieht, ist Vergütung geschuldet. Wo aber das Amt pervertiert und das Gute bestraft, unterminiert es seinen Anspruch. Das erklärt auch, warum Jesus die Tempelsteuer nur aus Rücksicht und nicht aus Verpflichtung zahlte – um Anstoß zu vermeiden, nicht weil sie rechtmäßig war.

Gewalt – ist reaktiv, niemals initiativ

„Sie trägt das Schwert nicht umsonst“ (Röm 13,4). Das Schwert ist nicht Werkzeug der Willkür, sondern Mittel zur Wiederherstellung des Rechts. Gewalt ist reaktiv, nicht initiativ.³⁷

Die Bibel verurteilt jede Form von Gewalt, die aus dem Nichts kommt: Mord, Raub, Zwang. Zwang ist nur legitim, wenn er Antwort auf Unrecht ist.³⁸ Seit Gen 9,6 gilt: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll durch Menschen vergossen werden.“ Auch der Dekalog bestätigt dies: „Du sollst nicht morden.“³⁹

Prävention darf nicht zur Gesinnungskontrolle werden. Sicherheit bleibt legitim nur im Rahmen des Rechtsschutzes.⁴⁰ Autorität hat keine Vollmacht, Herzen zu ändern; ihr Auftrag ist Schutz des Rechts.⁴¹

Damit wird klar: Gewalt übt nur rechtmäßige Autorität aus, und nur reaktiv nach Rechtsbruch – zur Wiederherstellung des Rechts und zum Schutz der Unschuldigen.⁴²

Damit wird deutlich, was Paulus meint:

  • Wer Gewalt ausübt: nur rechtmäßige Autoritäten, die Gott in ihrem Bereich beauftragt hat.
  • Wann Gewalt angewendet werden darf: ausschließlich reaktiv, nach einer tatsächlichen Rechtsverletzung.
  • Wozu Gewalt eingesetzt wird: einzig zur Wiederherstellung des Rechts, zur Wiedergutmachung und zum Schutz der Unschuldigen.
  • Präventiv-Mittel sind nur insoweit legitim, wie sie den engen Telos des Rechtsschutzes wahren und nicht zur Vorfeldkontrolle/Gesinnungssteuerung ausarten.

Darum darf das Schwert nicht missbraucht werden, um ganze Bevölkerungen zu kontrollieren, Gesinnungen zu steuern oder moralische Laster zu kriminalisieren, die allein Gott richtet. Autorität hat keine Vollmacht, Herzen zu ändern. Ihr Auftrag ist begrenzt auf den Schutz des Rechts.

Liebe – Grenze und Vollendung der Ordnung

Paulus endet nicht bei äußerer Ordnung. „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses; so ist nun die Liebe die Erfüllung des Gesetzes“ (Röm 13,10). Damit greift er Jesu Doppelgebot auf (Mt 22,37 ff.) und macht deutlich: Ordnung ist nicht Selbstzweck, sondern in die Liebe eingebettet.⁴³

Der Prüfpfad lautet: Auftrag – Unterordnung – Legitimität – Liebe. Liebe ist Vollendung und Ziel jeder Ordnung.⁴⁴ Sie bestimmt, was Recht wirklich meint, und bewahrt die Ordnung vor Herrschaftslogik.⁴⁵

Römer 13 wird so zum Prüfstein: Autorität ist Haushalterschaft im Bund – Dienst am Guten innerhalb klarer Grenzen. Unterordnung heißt Einordnung in Gottes Ordnung. Gewalt bleibt reaktiv, nie initiativ. Und Liebe ist Maßstab aller Ordnung.⁴⁶

So wird Römer 13 zum Schlüsseltext, an dem sich jede politische Theologie messen muss. Er bindet jede Obrigkeit an Gottes Auftrag und zeigt, dass Unterordnung und Widerstand zusammengehören – Treue zu Gottes Ordnung.⁴⁷

Die Spannung der Schrift

Römer 13 betont die positive Funktion legitimer Autorität. 1 Petr 2 legt den Akzent auf das Zeugnis: Unterordnung „um des Herrn willen“. Titus 3,1 erinnert, dass Christen bereit sein sollen, Gutes zu tun.⁴⁸

Offenbarung 13 zeigt die dunkle Kehrseite: Wenn Macht sich vergöttlicht, wird sie zum Tier, das Anbetung fordert. Dann ist Widerstand Pflicht.⁴⁹ Paulus unterscheidet in 1 Kor 6 zwischen echter Rechtspflege und weltlicher Willkür: Streitfälle sollen nicht „zu den Ungerechten“ getragen werden.⁵⁰

Römer 13 zeigt Ordnung in ihrer Bestimmung, Offb 13 ihr Gericht, Offb 14 ihre Vollendung im Lamm.⁵¹ Autorität ist Gabe Gottes (Röm 13), Unterordnung ist Zeugnis (1 Petr 2), Vergöttlichung von Macht ist Anmaßung (Offb 13).⁵²

Stimmen der Reformation

Auch die Reformation hat Römer 13 ernst genommen – und dabei die Spannung zwischen Unterordnung und Widerstand nicht aufgelöst, sondern präzisiert.

  • Confessio Augustana (1530): Obrigkeit ist ein gutes, von Gott eingesetztes Amt. Gehorsam ja – aber nicht, wenn er in Sünde führt.
  • Bullinger: Obrigkeit ist ein Auftrag, kein Absolutum. Sie ist an Gottes Gesetz gebunden, nicht an ihre eigene Willkür.
  • Magdeburger Bekenntnis (1550): Wenn Obrigkeiten das Gute bestrafen und das Böse belohnen, ist Widerstand nicht nur erlaubt, sondern Pflicht – besonders durch niedere Obrigkeiten, die Verantwortung tragen.
  • Niederländisches Glaubensbekenntnis (1561) und Westminster Confession (1647): Gehorsam gilt nur solange, wie Gottes Wort nicht verletzt wird. „God alone is Lord of the conscience.“

Damit stellte die Reformation klar: Römer 13 ist kein Deckmantel für Tyrannei, sondern ein Maßstab für begrenzte Autorität. Unterordnung und Widerstand gehören zusammen – als Ausdruck der Treue zu Gott.

Was heißt das heute?

Röm 13 ist keine Zumutung, sondern Einladung, Ordnungen neu zu verstehen. Sich einzufügen in Ordnungen, die Leben und Eigentum schützen, ist kein Verlust, sondern Gewinn. Die Herausforderung liegt in der Unterscheidung: wann äußerer Gehorsam verweigert werden muss, um der Einordnung in Gottes Ordnung treu zu bleiben.⁵⁸

Steuern und Gewissen heute: Abgaben sind moralisch nur dort geboten, wo der Staat gerecht dient. Exzessive Forderungen verletzen das Schuldprinzip und den Dekalog. Christen können zahlen aus Rücksicht und um des Friedens willen, nicht als Blankopflicht. Gewissensfreiheit bleibt: „Die Kinder sind frei“ (Mt 17,26).⁵⁹
Für Christen: Unterordnung ist Pflicht, aber nicht absolut. Widerstand beginnt, wo Gott verraten würde.⁶⁰
Für Obrigkeiten: Sie sind Diener, keine Herren. Ihr Amt endet, wo sie das Böse belohnen und das Gute verfolgen.⁶¹

Wenn Autoritäten absolute Loyalität fordern oder Gewissen reglementieren, gilt: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ ⁶²

Schlussgedanke

Paulus erzieht Christen nicht zu Untertanen, sondern zu Mündigen. Er ruft auf, Ordnungen zu achten, aber Gott allein zu gehorchen. Röm 13 ist kein Freibrief für Macht, sondern Prüfstein jeder Autorität: ob sie wirklich Dienerin Gottes ist und dem Guten dient.⁶³

Wo sie das nicht tut, schulden wir ihr keine Loyalität, sondern Gott Treue. Unser Gewissen und unsere Anbetung gehören allein ihm. Menschen schulden wir nur, was rechtlich geschuldet ist – Recht, Schutz, gerechte Ordnung.⁶⁴

Das ist die Freiheit des Christenmenschen: geordnet in Gottes Ordnung, aber frei von Tyrannei. Frei, das Gute zu tun. Frei, Gott allein zu dienen.⁶⁵


Endnoten

1 Röm 13, 1 f.; Lutherbibel 2017.
2 Vgl. Offb 13, 1–10; Paulus und Johannes zeigen zwei Seiten derselben Ordnung.
3 Vgl. Calvin, Institutio Christianae Religionis (1559), IV, 20, 1–6.
4 Beza, Vom Recht der Obrigkeiten über ihre Untertanen (1574), I.
5 Röm 12–14 als Ethikteil des Römerbriefs – vgl. Neuhauser, Paulus und die politische Ethik, Tübingen 2015, S. 112 f.
6 Röm 11, 33–36 und 12, 1 f. – Übergang von Doxologie zu Ethik.
7 Röm 12, 19 und Dtn 32, 35.
8 Röm 13, 1–4.
9 Röm 14, 1–12; Confessio Augustana Art. 28 („Gott allein ist Herr des Gewissens“).
10 Griech. Pluralform exousíai als Hinweis auf dezentralen Charakter von Autorität.
11 Mt 7, 28 f.; 2 Kor 13, 10.
12 Althusius, Politica methodice digesta (1603/1614), I, 1, § 5.
13 Buchanan, De iure regni apud Scotos (1579): „Das Gesetz ist älter als der König.“
14 Beza, Vom Recht der Obrigkeiten, I.
15 Bullinger, Von der Obrigkeit (1549): „Gott hat die Obrigkeit zur Bewahrung des Friedens eingesetzt.“
16 Josephus, Antiquitates XVIII, 1, 1; Apg 5, 37 (Judas der Galiläer).
17 Mk 12, 17; vgl. Mt 22, 21; Lk 20, 25.
18 Bezug auf Jesus’ Unterscheidung zwischen sacrum und profane – vgl. Calvin, Institutio IV, 20, 4.
19 Röm 13, 1–7 sprachlich analysiert bei Th. Schreiner, Romans, Grand Rapids 1998, S. 676 ff.
20 Apg 5, 29.
21 Calvin, Institutio IV, 20, 32.
22 Ex 1, 15–21; Dan 3; Apg 5, 29.
23 Beza, Vom Recht der Obrigkeiten, II.
24 Röm 13, 4–6; griech. diákonos, leitourgós.
25 Vgl. Luther, Von weltlicher Obrigkeit (1523), WA 11, 245–281.
26 Paulus’ Logik im Dreischritt – vgl. Röm 13, 1–7.
27 Beza, ebd., III.
28 Magdeburger Bekenntnis (1550), Kap. VIII „Pflicht der niederen Obrigkeit“.
29 Röm 13, 10.
30 Mt 22, 37 ff.
31 Röm 13, 7.
32 Griech. Begriffe phóros, télos, opheílete nach NA28.
33 Röm 13, 6.
34 Dtn 24, 15.
35 Beza, Vom Recht der Obrigkeiten, III.
36 1 Tim 5, 17 f.
37 Röm 13, 4.
38 Gen 9, 6.
39 Ex 20, 13.
40 Vgl. Luther, Von weltlicher Obrigkeit, WA 11, 265.
41 Althusius, Politica VIII, 12.
42 Beza, ebd., III.
43 Röm 13, 10; Mt 22, 37 ff.
44 Calvin, Institutio IV, 20, 1.
45 Augustinus, De civitate Dei XIX, 17.
46 Beza und Buchanan übereinstimmend in der Definition von Autorität als Dienst am Guten.
47 Magdeburg VIII und Beza III.
48 1 Petr 2, 13 f.; Tit 3, 1.
49 Offb 13, 1 ff.
50 1 Kor 6, 1–4.
51 Offb 14, 1 ff.
52 Beza, Vom Recht der Obrigkeiten, V.
53 Luther, Von weltlicher Obrigkeit (1523); Bullinger (1549); Beza (1574).
54 Confessio Augustana (1530), Art. 16.
55 Magdeburger Bekenntnis (1550), VIII 15 ff.
56 Niederländisches Glaubensbekenntnis (1561), Art. 36; Westminster Confession (1647), Kap. 23 § 4.
57 Althusius, Politica IX.
58 Röm 12, 18.
59 Mt 17, 25–27.
60 Apg 5, 29.
61 Beza, Vom Recht der Obrigkeiten, III.
62 Apg 5, 29.
63 Röm 13, 4; Calvin, Institutio IV, 20, 1.
64 Dtn 24, 15; 1 Tim 5, 17 f.
65 Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520), WA 7, 49 ff.

Autor

  • Schnebel Andreas

    Andreas Schnebel ist pensionierter Soldat, Autor und Publizist. Er schreibt regelmäßig für verschiedene Magazine, darunter eigentümlich frei, Der Sandwirt, wir selbst und Ansage.org. Seine Schwerpunkte liegen in der Verbindung reformatorischer Theologie mit Fragen der Freiheit, Eigentumsordnung und Gesellschaftskritik. Schnebel ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

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