1Petrus 2: Autorität – Dezentralität und Verantwortung

1. Einleitung und Kontext

Kaum ein neutestamentlicher Text über Obrigkeit steht so sehr im Schatten von Römer 13 wie 1Petr 2,11–17. Oft wird er nur als Parallele zitiert – dabei trägt er eine eigene theologische Gewichtung. Während Paulus in Römer 13 stärker die funktionale Seite legitimer Herrschaft hervorhebt, betont Petrus die seelsorgerliche Dimension: Unterordnung soll nicht nur Gottes Ordnung wahren, sondern auch das Zeugnis der Gemeinde schützen.
Die Adressaten waren Christen in Kleinasien, die gesellschaftlich marginalisiert und teils offen verleumdet wurden. Sie galten als „Übeltäter“, angeblich gefährlich für den sozialen Zusammenhalt. Historisch ist wahrscheinlich, dass Petrus diesen Abschnitt wenige Jahre vor oder während der neronischen Verfolgung schrieb – also in einer Situation, in der Verdächtigungen und Diffamierungen zunahmen.¹
Petrus begegnet dieser Bedrängnis nicht mit einem Rückzugsbefehl, sondern mit einer Ermahnung: Integrität nach innen, Glaubwürdigkeit nach außen. Christen sollen „als Gäste und Fremdlinge“ leben (paroikoi, parepidēmoi) – mit anderen Worten: Sie sind Bürger zweier Welten. Fremd in dieser Welt, aber nicht unbeteiligt. Ihre Treue gilt Gott, doch sie drückt sich auch im respektvollen Leben innerhalb der menschlichen Gesellschaft aus.

Schon hier liegt die Spannung: Unterordnung wird gefordert – aber „um des Herrn willen“. Das bedeutet: Nicht aus blindem Gehorsam gegenüber Menschen, sondern aus bewusster Loyalität gegenüber Christus. Damit ist die Grenze bereits im Motiv gesetzt.

2. Textlogik und innere Struktur

Der Abschnitt 1Petr 2,11–17 ist literarisch sorgfältig komponiert. Er verbindet seelsorgerliche Ermahnung mit theologischer Grundlegung und praktischer Weisung. Auffällig ist, dass Petrus die Gemeinde zunächst nicht über „Obrigkeit“ belehrt, sondern über ihr eigenes Wesen: Fremdlingschaft.

a) Voraussetzung: Integrität nach innen und außen (V.11–12)

Die Mahnung setzt bei der persönlichen Heiligung an: „Enthaltet euch der fleischlichen Begierden, die gegen die Seele streiten“ (V.11). Der innere Kampf gegen das Fleisch ist Voraussetzung dafür, dass Christen äußerlich glaubwürdig leben können. Daraus folgt der Aufruf zu einem „guten Wandel unter den Heiden“ (V.12). Ziel ist, dass falsche Anklagen entkräftet werden – ja mehr noch: dass die Heiden „Gott preisen am Tag der Untersuchung“. Unterordnung ist hier also nicht primär politisch, sondern apologetisch: Sie dient der Verteidigung des Glaubens durch vorbildliches Verhalten.²

b) Prinzip: Unterordnung um des Herrn willen (V.13)

Auf dieser Grundlage folgt der zentrale Imperativ: „Ordnet euch aller menschlichen Ordnung unter – um des Herrn willen.“ Das griechische hypotássesthai meint nicht sklavisches Untertanentum, sondern „sich einordnen“, „einen Platz in einer Ordnung einnehmen“.³ Unterordnung ist also ein bewusster Akt – frei und verantwortet, nicht passiv erzwungen.
Die Formulierung „aller menschlichen Ordnung“ (pasē anthrōpinē ktisei) ist schillernd. Sie kann einerseits auf staatliche Institutionen zielen, andererseits allgemein auf gesellschaftliche Strukturen. Entscheidend ist, dass es „menschliche“ Einrichtungen sind – nicht göttliche Offenbarung. Damit relativiert Petrus jede Institution: Sie ist nicht absolut, sondern Teil einer begrenzten Ordnung.⁴

c) Konkretion: Könige und Statthalter (V.14)

Petrus nennt Beispiele: den König „als Oberhaupt“ und die Statthalter „als seine Gesandten“. Dabei wird die Aufgabe ausdrücklich umrissen: „zur Bestrafung der Übeltäter und zum Lob derer, die Gutes tun.“ Hier liegt die gleiche Grundlinie wie bei Paulus in Römer 13: Autorität ist nur legitim, wo sie Recht schützt und Unrecht straft.⁵
Auffällig ist die Mehrstufigkeit: Obrigkeit erscheint nicht als monolithischer Block, sondern als ein Geflecht von Ämtern. Der König herrscht nicht unmittelbar, sondern durch seine Statthalter. Diese wiederum werden ausdrücklich als „Gesandte“ (apesteilmenoi) bezeichnet – ihre Autorität ist delegiert und damit begrenzt. Petrus beschreibt also eine dezentral gestufte Ordnung: Macht wird geteilt, Verantwortung verteilt. Schon im römischen Reich war Herrschaft auf verschiedene Ebenen aufgeteilt – Kaiser, Provinzstatthalter, lokale Magistrate. Genau diese Dezentralität betont der Text.
Reformatorische Theologen haben diese Linie aufgenommen: Obrigkeit ist „ein Amt und eine Verwaltung“ (Bullinger), nicht Selbstherrschaft.⁶ Das Magdeburger Bekenntnis (1550) erklärte, dass gerade niedere Obrigkeiten eine Verantwortung tragen – und im Fall tyrannischer Herrschaft sogar verpflichtet sind, Widerstand zu leisten.⁷ Autorität ist also nie ungebunden, sondern auf verschiedene Stufen verteilt und an Gottes Auftrag gebunden.
Auch die moderne Exegese hebt diesen Aspekt hervor. Karen H. Jobes weist darauf hin, dass die Nennung von „Königen und Statthaltern“ den römischen Verwaltungsaufbau spiegelt – Kaiser, Provinzstatthalter, lokale Magistrate.⁸ John H. Elliott sieht hierin einen Hinweis auf die gestufte soziale Realität, in der Christen lebten: Unterordnung wurde auf allen Ebenen gefordert, aber immer im Horizont der Gottesfurcht (V.17).⁹

d) Ziel: Zeugnis und Freiheit (V.15–16)

Unterordnung geschieht nicht um ihrer selbst willen, sondern „damit ihr durch Gutes tun die Unwissenheit der unverständigen Menschen zum Schweigen bringt“ (V.15). Christen sollen das Vorurteil widerlegen, sie seien staatsgefährdend.
Gleichzeitig zieht Petrus eine wichtige Grenze: „als Freie, und nicht als solche, die die Freiheit als Deckmantel für die Bosheit benutzen, sondern als Knechte Gottes“ (V.16). Freiheit ist nicht Beliebigkeit, sondern gebundene Freiheit. Unterordnung darf nie in Widerspruch zum Gehorsam gegenüber Gott geraten.

e) Schlussformel: Vier Imperative (V.17)

Der Abschnitt endet mit einer prägnanten Kurzformel: „Erweist jedermann Achtung, liebt die Bruderschaft, fürchtet Gott, ehrt den König.“ Die Rangordnung ist klar: universaler Respekt, geschwisterliche Liebe, Gottesfurcht – und erst danach die königliche Ehre. Nur Gott wird gefürchtet. Damit ist die höchste Grenze benannt: Ehrung menschlicher Obrigkeit ja – Anbetung nein.

Zusammengefasst: 1Petr 2,11–17 entwickelt ein Spannungsfeld von Integrität, Unterordnung und Freiheit. Obrigkeit ist gestuft und dezentral, nie absolut. Der Maßstab ist immer „um des Herrn willen“. Darin liegt zugleich der Grund wie auch die Grenze aller Unterordnung.

3. Exegetische Schlüsselbegriffe

Die theologische Pointe von 1Petr 2,11–17 erschließt sich besonders an drei Schlüsselbegriffen, die das Verständnis von Unterordnung prägen.

a) hypotássesthai (ὑποτάσσεσθαι)

Das Verb in V.13 wird oft zu schnell mit „untertan sein“ übersetzt. Doch die lexikalische Breite reicht von „einordnen, unterstellen“ bis hin zu „unter Disziplin stellen“. Es trägt den militärischen Grundklang von „sich in eine Ordnung einreihen“⁶ – nicht den Gedanken absoluter Gehorsamspflicht.
In reformatorischer Lesart heißt das: Christen sollen sich Ordnungen bewusst einfügen – aber nicht als willenlose Objekte. Unterordnung ist eine freie Entscheidung im Bewusstsein, dass Gott die höchste Autorität ist. Das bewahrt vor dem Missverständnis, Petrus fordere ein kritikloses „Untertanentum“. Vielmehr ist die Unterordnung reflektiert, verantwortlich, demütig – aber niemals absolut.

b) anthrōpinē ktisis (ἀνθρωπίνη κτίσις)

Der Ausdruck in V.13 ist exegetisch umstritten. Wörtlich heißt er „menschliche Schöpfung“. Viele Übersetzungen geben es wieder als „menschliche Ordnung“ oder „Institution“.⁷ Entscheidend ist die Relativierung: Es handelt sich um menschliche, nicht göttliche Setzungen. Damit macht Petrus klar: Keine Institution darf mit Gottes Ordnung verwechselt oder gar vergöttlicht werden.
Die moderne Exegese weist darauf hin, dass Petrus bewusst allgemein formuliert. Gemeint sind alle Formen menschlicher Institutionalisierung – staatliche, rechtliche, gesellschaftliche. Doch sie alle haben nur so lange Anspruch auf Unterordnung, wie sie nicht Gottes Gebot widersprechen.

c) dià ton kyrion (διὰ τὸν κύριον)

Der Grundsatz „um des Herrn willen“ (V.13) ist hermeneutisch entscheidend. Er liefert sowohl den Grund als auch die Grenze aller Unterordnung.

  • Grund: Christen ordnen sich unter, nicht weil Herrscher unfehlbar wären, sondern weil Christus Herr ist. Unterordnung ist Teil ihres Zeugnisses.
  • Grenze: Sobald Obrigkeit etwas verlangt, was Christus widerspricht, endet die Pflicht zur Unterordnung. Gott bleibt der letzte Bezugspunkt.

Damit ist das Verhältnis von Gehorsam und Widerstand schon im Text selbst angelegt. Petrus fordert keine absolutistische Loyalität, sondern einen Gehorsam, der in Christus gegründet und auf Christus begrenzt ist.⁸

Ergebnis: Die drei Begriffe machen deutlich, dass Unterordnung in 1Petr 2 kein „Befehl und Gehorsam“-Schema meint, sondern eine bewusste Einordnung in menschliche Institutionen – immer „um des Herrn willen“, also mit eingebauter Grenze.

4. Reformatorische Auslegung

Die Reformation hat 1Petr 2,11–17 nie isoliert gelesen, sondern stets im Zusammenhang mit Römer 13. Dennoch finden sich in reformatorischen Texten deutliche Spuren dieser Stelle. Vor allem die Frage nach der Grenze des Gehorsams wurde immer wieder mit Bezug auf Petrus diskutiert.

a) Bullinger: Obrigkeit als Amt, nicht als Absolutum

Heinrich Bullinger, Zwinglis Nachfolger in Zürich, widmete der Obrigkeit eine ausführliche Predigtreihe (1568). Dort definiert er Obrigkeit als „Amt und Verwaltung“, die Gott zum Schutz der Frommen und zur Bestrafung der Bösen eingesetzt habe.⁹ Tyrannei dagegen beschreibt er als „grausame Überwältigung“, die nicht von Gott verordnet sei. Für Bullinger folgt daraus: Unterordnung gilt nur gegenüber rechtmäßiger Autorität, nicht gegenüber anmaßender Gewalt. Diese Linie knüpft eng an 1Petr 2,14 an: Obrigkeit hat die Aufgabe, Übeltäter zu strafen und das Gute zu loben – darin erschöpft sich ihre Legitimität.

b) Magdeburger Bekenntnis (1550): Pflicht zum Widerstand

Die lutherischen Pastoren von Magdeburg gingen noch weiter: Sie erklärten, dass „niedere Obrigkeiten“ verpflichtet seien, tyrannischer Gewalt zu widerstehen. Petrus’ Ruf zur Unterordnung wurde dabei nicht übergangen, sondern präzisiert: Unterordnung gilt nur solange, wie Obrigkeit ihrem göttlichen Auftrag treu bleibt.¹⁰ Wird das Gegenteil gefordert – also das Böse belohnt und das Gute bestraft –, dann tritt der Grundsatz von Apg 5,29 in Kraft: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“

c) Niederländisches Glaubensbekenntnis (1561)

Artikel 36 bindet den Gehorsam an den Maßstab des Wortes Gottes. Christen sollen Obrigkeit achten und Gesetzen folgen, „soweit sie nicht im Widerspruch zum Wort Gottes stehen“.¹¹ Damit wird 1Petr 2,17 („Fürchtet Gott, ehrt den König“) klar strukturiert: Gottesfurcht bleibt höher als jede menschliche Autorität.

d) Westminster Confession (1647)

Das Westminster-Bekenntnis (20.4) legt nach: Widerstand gegen rechtmäßige Macht sei Sünde – aber Tyrannei ist keine rechtmäßige Macht. Das deckt sich mit der Linie, die bereits bei Bullinger und Magdeburg sichtbar war: Petrus fordert Unterordnung, nicht Vergöttlichung von Herrschaft.

e) Synthese reformatorischer Stimmen

Die Reformation liest 1Petr 2 also nicht als Untertanenpflicht im modernen Sinn, sondern als Unterordnung unter den göttlichen Auftrag der Obrigkeit. Das Amt ist zu ehren, die Person darin nur solange, wie sie Gottes Ordnung respektiert. Tyrannei verliert den Anspruch auf Gehorsam.

Damit bestätigten die Reformatoren das, was im Text selbst angelegt ist: Unterordnung geschieht „um des Herrn willen“. Dieses Motiv ist Grund und Grenze zugleich.

5. Moderne wissenschaftliche Exegese und Rezeption

Die neutestamentliche Forschung der letzten Jahrzehnte hat 1Petr 2,11–17 intensiv diskutiert – vor allem wegen der Frage, wie weit Unterordnung reicht und welche Grenze im Text selbst steckt. Auffällig ist: Die Mehrheit der Ausleger liest den Abschnitt nicht als Legitimation absolutistischer Herrschaft, sondern als seelsorgerliche Weisung in einer Situation von Randständigkeit und Verleumdung.

a) Douglas J. Moo: Unterordnung als Zeugnis

Douglas J. Moo betont, dass der Ausdruck anthrōpinē ktisis nicht auf „Schöpfungsordnungen“ Gottes zielt, sondern auf menschliche Institutionen. Unterordnung meint hier die Anerkennung gesellschaftlicher Strukturen, wie sie historisch bestehen – allerdings immer unter der Herrschaft Christi.¹² Die Motivation ist apologetisch: Christen sollen durch ihr Verhalten Vorurteile widerlegen und „Gott verherrlichen am Tag der Heimsuchung“ (V.12). Moo warnt ausdrücklich davor, den Text in ein pauschales Staatsgehorsamsprogramm zu verwandeln.

b) Karen H. Jobes: Apologetic Lifestyle

Karen H. Jobes liest den Abschnitt im Horizont des „apologetic lifestyle“.¹³ Unterordnung sei ein Lebensstil, der Anklagen entkräftet und so missionarisch wirkt. Sie betont: Die Unterordnung geschieht „um des Herrn willen“ – also in doppelter Relativierung. Zum einen: Unterordnung ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zeugnis. Zum anderen: Sobald Unterordnung mit Gottes Willen kollidiert, endet sie.

c) John H. Elliott: Minderheiten-Ethik

John H. Elliott hebt hervor, dass der erste Petrusbrief insgesamt eine Ethik für eine „marginalisierte Minderheit“ entwirft.¹⁴ Unterordnung sei eine Überlebensstrategie, die Konflikte mit staatlicher Gewalt minimieren sollte. Doch auch er erkennt in V.15–16 ein klares Kriterium: Der Wille Gottes und die Freiheit „als Knechte Gottes“ bilden den Rahmen. Unterordnung ist also nie schrankenlos, sondern begrenzt durch die höchste Loyalität gegenüber Gott.

d) Scot McKnight: Spannung von Anpassung und Widerstand

Scot McKnight macht die Spannung deutlich: Petrus fordert Anpassung, aber mit klarer Rangordnung.¹⁵ Die vier Imperative in V.17 – Achtung, Liebe, Gottesfurcht, Königsehre – bringen diese Hierarchie zum Ausdruck. Nur Gott wird gefürchtet. Damit bleibt die Möglichkeit des Widerstands im Text selbst verankert.

e) Gemeinsame Linie der modernen Forschung

Die genannten Stimmen sind sich bemerkenswert einig: 1Petr 2 ist kein Blankoscheck für jede Obrigkeit. Unterordnung ist Zeugnis, nicht Unterwerfung. Der Maßstab ist Gottes Wille. Die Grenze liegt dort, wo Obrigkeit ihre Aufgabe verfehlt und das Gegenteil dessen tut, wozu sie eingesetzt ist – Böses belohnt und Gutes bestraft.

6. Synthese

a) Drei Stimmen – eine Spannung

Setzt man die drei Schlüsseltexte nebeneinander, ergibt sich eine theologische Spannung, die nicht aufgelöst, sondern ausgehalten werden muss:

  • Römer 13 betont die positive Funktion legitimer Autorität: Sie ist „Dienerin Gottes“ zum Schutz des Rechts und zur Bestrafung des Bösen.
  • 1Petr 2 legt Gewicht auf die seelsorgerliche Dimension: Unterordnung dient dem Zeugnis, sie entkräftet Verleumdung, sie bringt Gott Ehre – aber immer „um des Herrn willen“.
  • Offenbarung 13 zeigt die dunkle Kehrseite: Wenn politische Macht sich vergöttlicht, wird sie zum Tier, das Anbetung fordert. Dann ist Widerstand Pflicht.

Die drei Texte bilden also keinen Widerspruch, sondern eine Bogenlinie: Geordnete Autorität ist Gabe Gottes (Röm 13), Unterordnung ist Zeugnis (1Petr 2), Vergöttlichung von Macht ist dämonische Anmaßung (Offb 13).

b) Reformatorische Rezeption

Die Reformation hat diese Spannung nicht weginterpretiert, sondern präzisiert:

  • Bullinger definierte Obrigkeit als Amt, nicht als Absolutum.¹⁶
  • Die Magdeburger formulierten die Pflicht niederer Obrigkeiten zum Widerstand.¹⁷
  • Niederländisches Bekenntnis und Westminster stellten klar: Gehorsam reicht nur soweit, wie Gottes Wort nicht verletzt wird.¹⁸

Damit wurde ein Rahmen geschaffen, der Unterordnung und Widerstand zusammenhält – ohne in Chaos oder Untertanengeist zu verfallen.

c) Moderne Exegese

Die neutestamentliche Wissenschaft bestätigt diese Linie. Moo, Jobes, Elliott und McKnight lesen 1Petr 2 nicht als pauschale Legitimierung von Herrschaft, sondern als begrenzte Unterordnung, eingebettet in Freiheit und Gottesfurcht.¹⁹

d) Brücke in die Gegenwart

Für uns heute bedeutet das:

  • Unterordnung ist Pflicht – aber nicht absolut.
  • Obrigkeit hat nur so lange Anspruch auf Gehorsam, wie sie ihrer Aufgabe treu bleibt: das Gute fördern, das Böse bestrafen.
  • Wird diese Ordnung umgekehrt – wenn das Böse legitimiert und das Gute unterdrückt wird –, ist die Grenze überschritten. Dann gilt: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29).

Gerade in Krisenzeiten – ob Pandemie, Krieg oder Kulturkampf – bleibt die Erinnerung wichtig: Unterordnung ist kein Blankoscheck. Sie ist Treue zu Gott, sichtbar in glaubwürdigem Verhalten – und Widerstand, wenn Gottes Ordnung verletzt wird.

7. Fazit

1Petr 2,11–17 ist ein Schlüsseltext der neutestamentlichen Obrigkeitsethik – aber er darf nicht isoliert gelesen werden. Sein Akzent liegt auf dem Zeugnischarakter der Unterordnung: Christen sollen sich in bestehende Institutionen einfügen, um Gottes Willen sichtbar zu machen und Anklagen zu entkräften.
Dabei gilt:

  • Unterordnung ist kein Selbstzweck, sondern geschieht „um des Herrn willen“.
  • Der Maßstab legitimer Autorität bleibt die Aufgabe, Böses zu bestrafen und Gutes zu fördern.
  • Die Grenze ist dort erreicht, wo Herrschaft Gottes Gebot widerspricht.

Reformation und moderne Exegese stimmen in diesem Punkt überein: Unterordnung ist geboten, solange Obrigkeit ihrem Auftrag treu bleibt. Tyrannei dagegen verliert Legitimität. Unterordnung ja – Vergöttlichung nein.
Zusammen mit Römer 13 und Offenbarung 13 ergibt sich ein kohärentes Bild: Autorität ist Dienst, Unterordnung ist Zeugnis, Widerstand ist Treue.

Endnoten

  1. Karen H. Jobes, 1 Peter (BECNT, Grand Rapids 2005), 168 f.; John H. Elliott, 1 Peter (AB, New York 2000), 459 f.
  2. Francis J. Moloney, „Apologetic Purpose in 1 Peter 2,11–12“, Biblica 64 (1983), 201–211.
  3. Rudolf Schnackenburg, Der erste Petrusbrief (EKK XXI, Zürich 2003), 133.
  4. Douglas J. Moo, 1 Peter (NIV Application Commentary, Grand Rapids 1996), 147 f.
  5. Vgl. Parallele in Röm 13,3–4; Douglas J. Moo, The Epistle to the Romans (NICNT, Grand Rapids 1996), 802.
  6. Johannes P. Louw / Eugene A. Nida, Greek-English Lexicon of the New Testament (New York 1988), 478.
  7. Schnackenburg, 1 Petrusbrief, 134; Jobes, 1 Peter, 176.
  8. Hermann Sasse, In statu confessionis III. Texte zu Union, Bekenntnis, Kirchenkampf und Ökumene (München 1934), 102.
  9. Heinrich Bullinger, Von der Obrigkeit (1568), Predigt 16.
  10. Confessio Magdeburgensis (1550), Kap. 2.
  11. Niederländisches Glaubensbekenntnis (1561), Art. 36.
  12. Moo, 1 Peter, 148–150.
  13. Jobes, 1 Peter, 176–181.
  14. Elliott, 1 Peter, 471 f.
  15. Scot McKnight, 1 Peter (NIV Application Commentary, Grand Rapids 1996), 141 f.
  16. Bullinger, Von der Obrigkeit, Predigt 16.
  17. Confessio Magdeburgensis (1550), Kap. 2.
  18. Niederländisches Glaubensbekenntnis (1561), Art. 36; Westminster Confession (1647), 20.4.
  19. Zusammenfassend: Joel B. Green, 1 Peter (Two Horizons Commentary, Grand Rapids 2007), 78–84.

Autor

  • Schnebel Andreas

    Andreas Schnebel ist pensionierter Soldat, Autor und Publizist. Er schreibt regelmäßig für verschiedene Magazine, darunter eigentümlich frei, Der Sandwirt, wir selbst und Ansage.org. Seine Schwerpunkte liegen in der Verbindung reformatorischer Theologie mit Fragen der Freiheit, Eigentumsordnung und Gesellschaftskritik. Schnebel ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

3 thoughts on “1Petrus 2: Autorität – Dezentralität und Verantwortung”

Leave a Comment

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.