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Magdeburger Bekenntnis von 1550

Das Magdeburger Bekenntnis wurde von den Beteiligten in einem erstaunlichen Drama verfasst und unterzeichnet, in der die Frage aufgeworfen wird, wie rechtschaffene Menschen auf diejenigen reagieren sollten, die Macht und Autorität ausüben, wenn diese ungerechte oder unmoralische Gesetze oder Verordnungen erlassen.
Das Magdeburger Bekenntnis ist ein wichtiges historisches Werk, denn die Magdeburger waren die ersten in der Geschichte der Menschheit, die in lehrmäßiger Form dargelegt haben, was erst später als die Lehre vom niederen Magistrat bekannt wurde.
Die Magdeburger Pastoren schrieben und unterzeichneten das Bekenntnis kurz vor der 13-monatigen militärischen Belagerung der Stadt durch Kaiser Karl V.
Die Lehre vom niederen Magistrat besagt, dass, wenn die höhere oder übergeordnete Obrigkeit ein ungerechtes oder unmoralisches Gesetz oder Dekret erlässt, der untere oder niedere Magistrat sowohl das Recht als auch die Pflicht hat, den Gehorsam gegenüber der übergeordneten Behörde zu verweigern.

Pastor Matt Trewhella
St. Crispin’s Day
Milwaukee, Wisconsin

Nachfolgend ein übersetzter Abstract der Artikel 3 und 7 des Magdeburger Bekenntnisses, dessen Apologie und Epilogs.

I. Erster Teil des Magdeburger Bekenntnisses (Bekenntnisteil)

Jegliche Autorität in Kirche, Ökonomie (Familie, Wirtschaft etc.) und Politik (zivile Gemeinschaftsordnung), die nicht im Widerspruch sondern Übereinstimmung mit Gottes Wort und der Vernunft ist, ist eine wahrhafte, geheiligte Verordnung Gottes, deren Werke gefallen ihm, machen den Gläubigen gottgefällig, ordnen die Zivilgemeinschaft mit äußerer Disziplin und sind zur Anbetung Gottes geeignet. Die Autoritäten sind dabei verschieden, sollen nicht vermischt werden, mit eigenem Zweck, eigener Aufgabe, jeweiliger Über- und Unterordnung, eigenem, verschiedenartigem Recht, eigenständiger Autorität, vernünftigen Gesetzen, Vorschriften, einander helfend, alle mit dem Ziel der Erkenntnis Gottes und des Heils oder wenigstens einer sekundären Art des Wohlergehens.

Aufgabe rechtmäßiger ziviler Autorität ist primär die Sorge, dass die wahre Religion gelehrt und danach gelebt wird, das gläubige und redliche Bürger, besonders aber die Kirche geschützt werden. Dafür schuldet man dieser Gehorsam und Duldung der Durchsetzung des Rechts mittels körperlicher Gewalt, wie Kinder ihren Eltern Gehorsam schulden. Sie verliert jedoch nach dem Wort Gottes ihren Anspruch auf Gehorsam, wenn sie ihre Aufgabe nicht erfüllt, über ihren Bereich ausdehnt oder die Menschen sogar von gottgemäßer Frömmigkeit und Rechtschaffenheit abbringt. Entzieht sich damit selbst Ehre und Amt ziviler Autorität, weil sie Gott die Ehre stiehlt und wird zu einer Verordnung des Teufels, der man um seiner eigenen Berufung willen, auf den Befehl Gottes hin widerstehen darf. Es ist demnach eine Irrlehre zu meinen, die Obrigkeit sei unantastbar und unangreifbar, auch wenn sie versucht, das gute Werk zu vernichten, das zu ehren sie verpflichtet war, und wenn sie auf der anderen Seite das böse Werk einrichtet und ehrt, vor dem sie eigentlich hätte zurückschrecken müssen.

– Abstract aus Kapitel 3 (Gesetz) und Kapitel 7 (Politik und Ökonomie)

II. Zweiter Teil des Magdeburger Bekenntnisses (Apologie)

Macht und Gewalt begründet keine rechtmäßige Autorität unter Gott. Sowohl Über- wie Untergeordnete haben vor Gott und den Gesetzen vorgeschrieben Pflichten und Grenzen. Mit dem Apostel Paulus wird gelehrt, dass den stellvertretenden Dienern Gottes zur Förderung guter Werke, nur in dieser Rolle Gehorsam geschuldet ist wie Gott, nicht nur aus Zorns oder der Furcht vor dem Schwert, sondern auch aus Gewissensgründen, das heißt aus Furcht vor dem Zorn und Gericht Gottes. Klare und eindeutige Grenze jeder zivile Autorität ist dabei primär die Verweigerung der wahren Verehrung Gottes, wobei niedere Magistrate zum Widerstand gegen höhere Magistrate nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sind. Die wahre Verehrung Gottes wird durch Kirche, Ökonomie (Familie & Wirtschaft) und Politik (zivile Gemeinschaftsordnung, „Verteidigung von Leben, Sittsamkeit, Eigentum und Bewahrung vor großer Tyrannei“) gewährleistet. Autorität besteht unabhängig der jeweiligen Religion.

  • Erstes Argument
    Gottes Verordnung ziviler Autorität umfasst Rechtspflege. Kommt die Autorität dieser nicht nach oder verkehrt diese, ist sie keine Verordnung Gottes, sondern des Teufels. Widerstand dagegen muss Stand und Berufung entsprechen.
    Aufgabe und Pflicht gleichgestellter oder höherer Autoritäten ist es, die Bürger vor Autoritäten zu schützen, die ihre Pflichten verletzten, da sie selbst im Rahmen ihrer Berufung dem Gebot Gottes verpflichtet sind. Das ist die zentrale Doktrin des niedrigeren Magistrats: Aufteilung der Autorität zwischen höheren (König) und niederen Magistraten (Kurfürsten, Bürgermeistern).
    Wenn höhere Autoritäten niedere, die ihre Pflichtverletzungen nicht mitmachen, durch willige ersetzten, gilt erstens deren Absetzung als unwirksam und zweitens die höhere Autorität als Ordnung des Teufels. Vernachlässigung der Pflicht durch andere, gar der Mehrheit rechtfertigt, entschuldigt oder enthebt kein Magistrat der eigenen Pflichterfüllung.
    Wann, wem und wie ein Magistrat einem anderen Widerstand zu leisten hat, ist jedoch eine Frage der Verhältnismäßigkeit (Schwere des Vergehens). Es soll zudem keine Unruhe gestiftet und auch danach gestrebt werden, die „Blöße“ der Obersten (Noah) zuzudecken, da jeder Mensch fehlbar ist. Magistrate sollten daher erst andere zivilrechtliche Möglichkeiten ausschöpfen bevor sie zum Schwert greifen.

    Erste Stufe: Eine „nicht maßlos grausame“ Obrigkeit
    Alle Menschen, auch die Regierenden, „haben durch ihre natürliche Schwäche ihre eigenen Laster und Sünden, durch die sie, entweder wissentlich oder mutwillig, manchmal Verfehlungen verursachen, die nicht übermäßig grausam, aber heilbar sind“. In solchen Fällen sollten untergeordnete Amtsträger „ihr Amt ausüben, indem sie sie [die betroffenen Regierenden] ernsthaft und auf andere zivilrechtliche Weise verwarnen“. Die niederen Amtsträger sollten jedoch „den Nachteil aushalten, den sie ohne Sünde ertragen können, und keinesfalls selbst zu den Waffen greifen“. Kurz gesagt, die „nicht maßlos grausame“ Obrigkeit muss geduldig ertragen werden.

    Zweite Stufe: Der gesetzlose Tyrann
    Im Vergleich zu Stufe 1, die gerade als „nicht maßlos grausam“ beschrieben wurde, beinhaltet Stufe 2 „übermäßige und notorische Verletzungen“. In diesem Fall verletzt die Obrigkeit seinen eigenen Eid: die Verfassung und die Gesetze des Landes aufrechtzuerhalten, z.B. indem sie das „Leben, Ehepartner oder Kinder oder durch Erbschaft oder Gesetz erworbene Rechte und Souveränität“ vorenthält oder wegnimmt.
    Die Magdeburger Theologen überließen die Angelegenheit hier weitgehend dem individuellen Gewissen der untergeordneten Amtsträger, wobei sie feststellten, dass Gott sie nicht zwingt, den ungesetzlichen Befehlen des gesetzlosen Tyrannen zu gehorchen, aber auch feststellten, dass es, wenn möglich, besser wäre, in christlicher Geduld zu leiden. Bedingung: wenn die Rechtsvergehen lediglich einzelne oder wenige Männer betrifft und wenn die Verletzung ohne Sünde toleriert werden kann“.

    Dritte Stufe: Der Zwangstyrann
    Wenn die Tyrannei der Ungerechtigkeit der Stufe 2 so weit ansteigt, dass eine Duldung ohne selbst schuldig zu werden unmöglich ist, wird sie zu einer Ungerechtigkeit der Stufe 3. Hier „wird ein untergeordneter Amtsträger selbst zu einer konkreten Verfehlung gezwungen, dass er diese nicht ohne schuldig zu werden erleiden kann, wenn Widerstand unterlassen wird _ um derentwillen er selbst das Schwert trägt“. Die Grenze zwischen den Stufen 2 und 3 zu ziehen, erfordert freilich „ein sorgfältiges und wahrheitsgetreues Urteil“. Auf beiden Ebenen „werden die Verantwortlichen solcher Verstöße richtigerweise zu Tyrannen und werden auch so genannt“. Der Unterschied zwischen ihnen ist eine Frage des Ausmaßes, aber mit der Zeit wird dies fast auch zu einem qualitativen Unterschied: Während sich die gesetzlose Tyrannei von einigen wenigen Einzelfällen, die einen Einzelnen hier oder dort verletzt, zu einem Muster ausweitet, das die Bevölkerung allgemein verletzt, wird die Verantwortung des niederen Amtsträgers immer deutlicher: Er kann nicht mehr mit gutem Gewissen geduldig die betroffenen Regierenden über sich ertragen, sondern ist nun verpflichtet, sich für die Verteidigung des Volkes einzusetzen und gegen diese Regierenden mit allen Mitteln vorgehen, auch wenn keine friedlichen Methoden bleiben.

    Vierte Stufe: Der Verfolger Gottes
    Ungerechtigkeit der Stufe 4 beinhaltet „mehr als tyrannische“ Verfehlungen. Dies tritt ein, wenn: „Tyrannen anfangen, so zu werden, dass sie mit List und Waffen nicht so sehr die Personen der untergeordneten Amtsträger und ihre Untertanen verfolgen, sondern das Recht selbst, … und dass sie Gott, den Urheber des Rechts in Person, nicht durch plötzliche und kurzfristige Wut, sondern mit dem bewussten und beharrlichen Versuch verfolgen, gute Werke für die ganze Nachwelt zu zerstören.“
    Mit Stufe 4, so folgerten die Magdeburger Theologen, habe der Tyrann es verdient, als „Werwolf“ bezeichnet zu werden, und habe sich in der Tat mit dem Teufel selbst in einen Bund gebracht. Wenn eine tyrannische Obrigkeit das Evangelium zensiert und eine betrügerische Theologie aufstellt, als wäre sie die einzig wahre christliche Lehre, dann hat er sich außerdem die Bezeichnung „Antichrist“ verdient. Ein solcher Tyrann hat seinen christlichen Untertanen keine andere gewissenhafte Option gelassen, als um jeden weltlichen Preis Widerstand zu leisten.
  • Zweites Argument
    Gottes Gebote (Gott geben was Gott, dem Kaiser, was dem Kaiser gehört) beinhalten durch Schlussfolgerung stets auch Verbote (Dekalog). Demnach ist einer zivilen Autorität nicht zu gehorchen oder dieser gar zu widerstehen, wenn man keinen Gehorsam schuldet (Kirche, Haushalt, Gesetze gegen Gottes Wort, menschliche Gesetze etc.) bzw. diese im Widerspruch zu Gott (→wahre Verehrung Gottes, s.o.) steht. Dann ist Ungehorsam oder Widerstand gegen die Person kein Eigensinn oder Rebellion bzw. wird die Ehre des Amtes nicht verletzt.

    Erster Grund
    Amtsgewalt und jeweilige Person sind zu unterscheiden. Ehre und Gehorsam steht der Autorität des Amtes, aufgrund der Verordnung Gottes und seines Wortes, nicht der Person an sich (bspw. Nero) zu. Gottes Autorität steht über jeder menschlichen Autorität oder menschlichen Gesetzen und Vorschriften.

    Zweiter Grund
    Es geht um Gottes Ehre und Eigentum. Wie Christus verneint, dass die Dinge Gottes oder der Menschen einer zivilen Autorität gehören, so verneint er damit auch, dass eine zivile Autorität Leben, Körper oder Eigentum der Menschen besitzt oder ihm dies ohne Sünde gegeben werden kann.

    Dritter Grund
    Wenn Personen mit ziviler Autorität fordern, was ihnen nicht zusteht, ist nach der Schrift zu folgern, dass man dies verweigern darf u. U. sogar muss, solange man selbst dabei nicht sündigt. Dies auch aus dem Grund, weil man seine Verpflichtung gegenüber Gott in anderen Bereichen

    Vierter Grund
    Mit Gottes Verordnung, sich Autorität zu unterwerfen und zu gehorchen, wird in besonderer Weise den Personen im Amt ziviler Autorität geboten sich Gott dadurch zu unterwerfen, indem sie mit ihrer Autorität sicherstellt, das Gott gehorcht wird (die Bösen bestraft, die Guten geschützt werden). Das ist die vorgesehene und primäre Aufgabe ziviler Autorität. Wenn also die höchste zivile Autorität ihrer Aufgabe nicht nachkommt und sogar die mit ihrer Macht daran hindert, die sie beschützen soll, verbleibt der Anspruch der wahren Verehrung Gottes.

    Wenn die höchste Autorität gegen Gottes Auftrag verstößt oder darüber hinaus Gehorsam verlangt, sind die niederen Autoritäten verpflichtet dieser aufgrund ihrer Autorität zu widerstehen, da diese keinen Anspruch mehr auf Ehre und Gehorsam hat und eine Verordnung des Teufels ist.
  • Drittes Argument
    Wären Amtsträger aufgrund der Verordnung Gottes unantastbar, würde Gottlosigkeit überhandnehmen, würde Gott diese Werke sogar stärken, ehren und begünstigen, und gute Werke behindern, gäbe es Widersprüche in seiner Natur und seinem Wort. Denn Gott ist nicht die Ursache des Bösen, auch wenn seine Verordnung zum Bösen missbraucht werden kann und es dem Teufel leicht fällt Menschen in Autorität zu verführen und Gebotes Wort und seine Verordnung zu verdrehen und zu missbrauchen. Die Lehre der absoluten Pflicht zum Gehorsam ist demnach eine Erfindung des Teufels, um sein Reich aufzubauen.

    Dem widerspricht nicht das Argument, das Gott selbst gegen Tyrannen eingreifen kann und eingegriffen hat oder dass es nicht Aufgabe der Kirche ist, Widerstand zu leisten. Gott betraft das Böse immer durch verschiedene Methoden, offen oder verborgen, teils ohne, teils durch menschliche Mittel, mal durch Gottlose, manchmal durch dazu Berufene.

    Gott teilt seine Ehre/Autorität ausnahmslos mit dem Amt, nicht dem Stand oder der Person. Wäre dies nicht so, würde das Unrecht oder die Sünde auf Gott zurückfallen, da keine rechtmäßige Autorität existiert, die nicht von Gott ausgeht. Wenn also einem Tyrannen widerstanden, dieser beseitigt wird, geschieht dies im Auftrag bzw. durch Gott selbst. Davon unbenommen wird das Reich Christi nicht durch „Rat oder Waffen“ errichtet.

    Die Magdeburger Theologen bestehen darauf, dass diese Apologie in Übereinstimmung mit den bedeutendsten Theologen ihrer Zeit steht und besonders auf Luther zurückgeht. Die Autoren waren mit Luther persönlich bekannt. Auf das Argument, Luther habe sich in seinen Schriften nicht so eindeutig geäußert erwidern sie, dass er bestimmten Gruppen keine Argumente für Gewalt liefern, ausgleichend wirken wollte, aber unter vier Augen eben diese Position vertreten habe. Sie selbst sehen sich nun, da die Feinde des Evangeliums in Kirche und Staat das Evangelium und die Kirche auslöschen wollen, gezwungen, ihren Widerstand (bei welchem sie bis zum Schluss friedensbereit blieben) auf Grundlage der Schrift zu rechtfertigen.

III. Dritter Teil des Magdeburger Bekenntnisses (Epilog)

Bekenntnis und Apologie stellen keine Forderung der Magdeburger Theologen dar, Gott fordert dies!

  • Erstens
    Die Gegner des Wortes dürfen durch Gläubige auf keine Weise unterstützt werden. Die Bedingungen für Frieden sind im Wort Gottes, dem Evangelium begründet und dürfen weder geändert noch verkürzt werden, da der Feind die gesamte Lehre Christi unterdrücken und sein Reich aufbauen will. Es geht bei allem nicht um Politik, sondern um Christus. Dabei kann man sich, da Gottes Wort vorliegt, nicht auf Unwissenheit berufen. Dies überrascht aufgrund des Beispiels der Juden oder des Judas nicht, bekümmert aber umso mehr und ist eine Abkehr vom Wort.
    Die Sicherheit, mit der viele auf ihrem Irrtum oder gar Verfolgung beharren, dieses aus Unwissenheit entschuldigen oder loben, ist die erste Strafe dieser Sünde, bei der Umkehr möglich ist. Wer aber wissentlich in der Sünde gegen den Heiligen Geist verharrt, kehrt nicht um.
  • Zweitens
    Zwei Dinge sind weiter wichtig: es genügt nicht, sich nicht am Unrecht zu beteiligen, man muss dagegen einschreiten. Und mit ihren erfundenen Gründen, rechtfertigen sie sich nur und erfinden viele Ausreden, um nicht einschreiten zu müssen. Die einen argumentieren, dass es sich um Rebellion, nicht Religion handelt, andere das sie zu schwach oder ihnen das Recht dazu fehlt. Alles leere Gründe.
    Nach dem Gebot „Du sollst nicht morden“ mordet nicht nur, der das Leben ungerechtfertigt wegnimmt, sondern auch denjenigen, der weder sein eigenes noch das Leben anderer vor ungerechter Gewalt rettet, so gut er kann. Daher sind diejenigen, die diese Bedrängnis gespürt haben und ihre Mittel nicht sofort zur Linderung der anderen, kranken Glieder einsetzen, entweder selbst keine Glieder des Leibes Christi oder sie sind tot oder etwas weniger als halb tot. Sie verdanken jedoch einen Großteil ihres eigenen Friedens und Glücks denen, die in wahrer Frömmigkeit und Freiheit stehen.
  • Die Pflichten der Gläubigen bestehen darin:
    1. Füreinander zu beten. Das Gebet der Kirche vermag das Wüten des Satans zu unterdrücken.
    2. Für die Übergeordneten zu beten. Das Gebet der Kirche vermag die Fürsten zur Mäßigung zu bewegen.
    3. Wenn die ersten beiden Pflichten vergeblich waren, bleibt nur „die gleiche Anstrengung zur Bewahrung Christi zu unternehmen, wie die Feinde zur Vernichtung Christus.“
    4. Die Pflicht zur Ehrung Gottes und zum Heil aller Menschen durch die Kirche, besonders aber der Vorsteher.

In den letzten fünfzig Jahren hat sich die Einstellung der Amerikaner zur Abtreibung nicht wesentlich geändert. Seit Roe vs. Wade haben die üblichen Argumente auf beiden Seiten verschiedene Bereiche der Philosophie durchlaufen. Dabei wird um die eigentliche Frage herumgetanzt, aber nie auf sie eingegangen: die Frage nach der juristischen Natur der Menschenrechte.

Beide Seiten versuchen, die Frage der Legalität damit zu beantworten, dass sie eine Rechtsposition mit ethischen, ontologischen und religiösen Argumenten zu ihren Gunsten verwechseln. All dies ist jedoch nicht geeignet, den tatsächlichen Gegenstand der Frage nach dem Recht zu berühren. In dieser unklaren Situation lassen beide Seiten zu, dass die Frage der Rechte vage und mehrdeutig bleibt. Das Ergebnis sind Theorien, die die Grundrechte rechtlich relativieren, verwirren und kompromittierbar machen.

Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte
Libertarismus lässt die ethischen, ontologischen (metaphysischen) und religiösen Aspekte beiseite und konzentriert sich auf die rechtliche Position. Das mag so klingen, als würden anderen wichtigen Aspekte ignoriert werden. Stattdessen klärt dies vielmehr die Hintergründe und ermöglicht es uns, die richtigen Kategorien für diese Dinge zu definieren.

Die drei Facetten der konventionellen Abtreibungsdebatte

Persönlichkeitsrechte
Die Frage der Persönlichkeitsrechte bei der Abtreibung klingt heute wie ein Argument der Abtreibungsbefürworter. Aber eigentlich war es ursprünglich ein Thema der Abtreibungsbefürworter. Die Philosophin Mary Ann Warren argumentierte zuerst, dass "die Persönlichkeit und nicht die genetische Identität die grundlegende Basis für die Zugehörigkeit zur moralischen Gemeinschaft darstellt. Ein Fötus, vor allem in den frühen Stadien seiner Entwicklung, erfüllt keines der Kriterien der Personalität". Ein Problem für Warren besteht darin, dass sie gleichzeitig die Kriterien für das Personsein aufstellt, anstatt sich auf einen bereits vereinbarten Standard zu stützen. Nach ihrer Einschätzung sind Menschen dann und nur dann Personen, wenn sie sechs bestimmte Eigenschaften aufweisen: Empfindungsvermögen, Emotionalität, Vernunft, Kommunikationsfähigkeit, Selbstbewusstsein und moralische Handlungsfähigkeit.

Der Haupteinwand besteht darin, dass sie die Voraussetzungen für die Gewährung von Menschenrechten überbewertet. Ihre sechs Kriterien schließen zwangsläufig auch eine Vielzahl von geborenen Menschen aus. Aber die typischen Befürworter des Lebensschutzes entgegnen ihrem Argument nicht mit denselben Begriffen. Sie kontern stattdessen mit religiösen Begriffen. Insbesondere berufen sie sich auf das christliche Konzept des Imago Dei und/oder auf die Bibelstelle über das "Gebildet werden" im Mutterleib. (Ps139:13) Es ist zwar richtig, dass ein Christ das Konzept der Personalität aus der Heiligen Schrift ableitet, aber Warren eine religiöse Antwort anzubieten, geht am Thema vorbei.

Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil es ihm nicht um die Person an sich geht. Das soll nicht heißen, dass das Konzept der Personalität für Libertäre nicht von allgemeinem Interesse ist. Vielmehr befasst sich der Libertarismus nicht mit den metaphysischen Ideen der Persönlichkeit. Für den Libertarismus ist das Element der Personalität, das für die Begründung von Menschenrechten notwendig ist, das Selbsteigentum.

Selbsteigentum behandelt nicht die Fragen nach Empfindungsvermögen, Emotionalität, Vernunft, Kommunikation, Selbstbewusstsein oder moralischem Handeln. Obwohl viele dieser Fragen für Ludwig von Mises' Konzept des menschlichen Handelns von Interesse sind. Da wir das Selbsteigentum vom menschlichen Handeln trennen können, umfasst das libertäre Selbsteigentum alle Menschen, einschließlich derer, die durch Warrens Argumentation entmündigt werden. Und obwohl es sich nicht auf religiöse Überzeugungen stützt, negiert es diese auch nicht.

Ethik
Obwohl Warren eher ontologisch (metaphysisch) argumentiert, mischt sie sich auch in die ethische Debatte ein. Sie führt das ontologische Argument für das ethische Argument an, wonach Abtreibung ein legales Recht sei. Sie tut dies jedoch, ohne sich überhaupt mit einer Rechtstheorie zu befassen. Sie geht bestenfalls von der Annahme aus, dass das, was moralisch ist, auch rechtlich durchgesetzt werden sollte. Kein Wunder, dass die Abtreibungsdebatte so verworren ist! Aber das ist ein ganz normaler Vorgang. Die Abtreibungsbefürworter bringen die gleichen falschen und verworrenen Argumente vor.

Das vorherrschende ethische Argument für die Abtreibung ist Judith Jarvis Thomsons "Violinist". Dabei handelt es sich um ein berühmtes Gedankenexperiment, bei dem ein medizinischer Eingriff gegen den Willen eines anderen Menschen vorgenommen wird. Ich habe hier mehr darübergeschrieben. Thompson räumt ein, dass ein Fötus von der Empfängnis an eine Person ist. Sie argumentiert dann, dass "das Recht auf Leben weder das Recht garantiert, den Körper einer anderen Person nutzen zu dürfen, noch das Recht, den Körper einer anderen Person weiterhin nutzen zu dürfen - selbst wenn man ihn zur Lebenserhaltung braucht."

Dr. Walter Blocks Theorie des Evictionismus bzw. Räumungsrechts, stützt sich stark auf Thomsons eigene Argumentation; die beiden sind sich auffallend ähnlich. Und obwohl die Brisanz der Abtreibungsdebatte heute viel weniger ausgefeilt klingt, ist das zugrunde liegende moralische Argument immer noch vorhanden: Ungeborene haben kein Recht auf den Mutterleib. Der einzige wirkliche Unterschied zwischen Thomsons Argumentation und der heutigen Rhetorik der Abtreibungsbefürworter besteht darin, dass Thomson ihre eigene Argumentation stark einschränkt und immer noch den Gedanken vertritt, dass eine Abtreibung nicht "immer zulässig" ist. Heutige Abtreibungsbefürworter würden dem nicht zustimmen.

Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil er die ethische Debatte völlig beiseiteschiebt (oder schieben sollte). Damit soll nicht gesagt werden, dass die Ethik der Abtreibung (oder allgemeiner gesagt, die Ethik der menschlichen Fortpflanzung) unwichtig ist. Aber nur weil eine Handlung ethisch ist, heißt das nicht zwangsläufig, dass diese Handlung erzwungen oder gesetzlich verboten werden sollte. Auch hier gilt wieder, dass wir uns mit der juristischen Natur der Menschenrechte befassen.

Religiöser Glaube
Mit der Ethikdebatte ist auch das religiöse Argument verbunden. Religiöser Glaube fließt sowohl in den Aspekt der Person als auch in den der Ethik ein. Meistens ist es die Seite der Abtreibungsgegner, die sich auf religiöse Argumente berufen. In der herkömmlichen Abtreibungsdebatte spielen religiöse Überzeugungen auf beiden Seiten eine wichtige Rolle.

Das offensichtliche religiöse Argument kommt von der Lebensschutzseite. Es richtet sich in der Regel gegen die körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit der Frau. Abtreibungsbefürworter verweisen in der Regel auf die althergebrachte Vorstellung, dass die Hauptaufgabe der Frau in der Gesellschaft darin besteht, Mutter zu sein. Dies erfordert ihrer Ansicht nach eine Form der Selbstverleugnung, die dem Recht der Frau auf körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit zuwiderläuft.

Carl Trueman schreibt: "Glaubt man denjenigen, die das Recht auf Abtreibung verteidigen, so ist es nichts Geringeres als die Befugnis, das Leben ihres ungeborenen Kindes zu beenden, die einer Frau ihre Menschlichkeit garantiert, d. h. die Autonomie, die ihrem Status als dem Mann Gleichgestellte entspricht. Das ist eine Verleugnung dessen, was uns wirklich menschlich macht: unsere natürliche Abhängigkeit voneinander und unsere Verpflichtungen einander gegenüber." (Hervorhebung hinzugefügt) Diese traditionalistische Sichtweise leugnet stets die körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit der Frau. Sie konzentrieren sich immer auf ihre Abhängigkeit (und die ihres Fötus) vom Mann.*

Auch christliche Abtreibungsbefürworter haben ihre religiösen Argumente. Die christlich-feministische Sichtweise stammt von Beverly Wildung Harrison. Sie ist als die "Mutter" der christlich-feministischen Ethik bekannt. Harrison argumentiert, dass ein gottgegebenes Recht auf reproduktive Entscheidungen notwendigerweise ein gesetzliches Recht auf Abtreibung beinhaltet. Sie brachte dieses Argument erstmals 1984 vor. Es enthält all die Worte, die wir heute von der progressiven Linken hören, wenn es um den elitären Anspruch der Weißen und die Missstände einer frauenfeindlichen Kultur geht. Dies sind die Gründe, so Harrison, warum eine Frau ein göttliches Recht hat, zu bestimmen, wer geboren wird.

Hier liegt der große Fehler dieser beiden Ansichten: eine religiöse Bestätigung der persönlichen Befangenheit. Diese beiden Positionen geben die Antwort auf die rechtliche Frage nach den Rechten, indem sie überzogene Behauptungen darüber aufstellen, was die Heilige Schrift über Frauen zu sagen hat. Sie setzen sich nie damit auseinander, was Rechte sind, inwiefern Menschen über diese verfügen oder wie sie im Leben jenseits des Moralischen identifiziert werden können.

Vielleicht hat Trueman Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" nicht gelesen. Huxley schildert eine Menschheit, die völlig von einander abhängig und einander verpflichtet ist. Diese Sichtweise führt zur Verleugnung jeder Sexual- und Familienethik, die Trueman wichtig ist. Ich gehe jede Wette ein, dass Trueman dieses Maß an Abhängigkeit und Verpflichtung gegenüber dem Nächsten leugnen würde. Aber um das zu tun, muss er zustimmen, dass Menschen (einschließlich Frauen) körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit haben.

Harrison hat Recht, wenn sie ein göttliches Recht auf körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit anführt. Sie übertreibt, wenn sie das Ausmaß der Herrschaft, die eine Frau über ihren Fötus hat, überbewertet. Aber sie argumentiert auch, dass reproduktive Wahl bedeutet, "[eine] Strategie zu finden, die gleichzeitig dazu führt, dass man sich weniger auf Abtreibung verlässt und weniger auf Zwang gegen Frauen und erzwungenes Kinderkriegen zurückgreift. Nichts anderes wäre ein echter moralischer Kompromiss".

Dies ist eine eindrucksvolle Aussage. Aber wo dies mit einem Verständnis der österreichischen Wirtschaftslehre leicht vorstellbar ist, hält Harrison es für utopisch; es sei nur mit sozialistischen Mitteln zu erreichen. Der Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil er die Vorstellung von einer Gesellschaft, die das Leben schützt, von einer Utopie in eine realistische Perspektive verwandelt.

Wie der Libertarismus die Abtreibungsdebatte verändert
Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil er kein religiöses Argument benötigt, um Harrisons Argumente für das Recht auf körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit zu begründen. Und (so argumentiere ich) würde sich auch nicht auf das Recht auf Abtreibung erstrecken. Ebenso braucht der Libertarismus kein religiöses Argument, um die Bedeutung von Mutterschaft und Familie zu erklären. Und (so behaupte ich) muss er auch nicht die körperliche Autonomie und Handlungsfähigkeit leugnen, um dies zu tun. Der Libertarismus braucht kein ethisches Argument, um Thomsons Argumente für die Freiheit von medizinischem Zwang geltend zu machen.

Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil er keine metaphysische Theorie der Personalität benötigt, um Menschenrechte zu begründen. Die Prinzipien des Selbsteigentums und der Nicht-Aggression beantworten diese Fragen, und zwar ohne eine Reihe von rhetorischen Hürden zu überspringen.

In der Tat löst der Libertarismus viele gesellschaftliche Probleme im Zusammenhang mit der körperlichen Autonomie und Handlungsfähigkeit der Frau. Und er kann dies tun, ohne die Rechte des Fötus aufs Spiel zu setzen. Interessant an den Argumenten der Abtreibungsgegner ist, dass sie alle davon ausgehen, dass der Fötus von der Empfängnis an Mensch ist. Viele Abtreibungsbefürworter räumen nicht einmal das ein. Einige berufen sich auf ein Warren-ähnliches Argument für die Persönlichkeit qua Selbsteigentum, aber das zeigt nur, dass sie nichts von Selbsteigentum verstehen.

Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, indem er die Menschenrechte durch Selbsteigentum begründet. Der Beginn des Selbsteigentums, von der Empfängnis an, macht den Weg frei, um eine ganze Reihe von Fragen zu diskutieren, bei denen Libertäre notorisch schlecht abschneiden. Dazu gehören unter anderem die Rechte von Kindern und Eltern, Vergewaltigung und Sexualverbrechen, Missbrauch und der Übergang zu Mises' Konzept der menschlichen Handlung.

Eine rechtspositivistische Sicht muss die Frage der Abtreibung (und der reproduktiven Freiheit) beantworten. Der Libertarismus verändert die Abtreibungsdebatte, weil er unser Verständnis neu ausrichtet, so dass wir andere dringende Fragen genauer angehen können.

| VIDEO| Kerry Baldwin debate Dr. Walter Block on Evictionism at the Soho Forum in NYC

*Eine ausführlichere Antwort auf Carl Trueman werde ich in einem separaten Artikel geben.

Veröffentlicht im Original durch Kerry Baldwin
In deutscher Sprache veröffentlich mit
freundlicher Genehmigung von Kerry Baldwin
und dem Libertarian Christian Institute

Kerry Baldwin
Kerry Baldwin

Kerry Baldwin ist eine unabhängige Wissenschaftlerin und Autorin mit einem B.A. in Philosophie von der Arizona State University. Ihre Schriften konzentrieren sich auf libertäre Philosophie und reformierte Theologie und richten sich an gebildete Laien. Sie fordern die Leser auf, die vorherrschenden Paradigmen in Politik, Theologie und Kultur zu überdenken. Sie ist eine bekennende Reformierte, orthodoxe Presbyterianerin in der Tradition von J. Gresham Machen (1881 - 1937), einem ausgesprochenen Libertären und Verteidiger der christlichen Orthodoxie.
Webseite: https://mereliberty.com/

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